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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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ben -- Und alles was er that, um sich hievon
loß zureißen, war im Grunde eine bloße Betäu¬
bung seines innern Schmerzes, und keine Hei¬
lung desselben -- sie erwachte mit jedem Tage
wieder, und während daß seine Phantasie ihm
manche Stunde lang ein täuschendes Blendwerk
vormahlte, verwünschte er doch im Grunde sein
Daseyn. --

Die häufigen Thränen welche er oft beim
Buche, und im Schauspeilhause vergoß, flossen
im Grunde eben sowohl über sein eignes Schick¬
sal, als über das Schicksal der Person, an de¬
nen er Theil nahm, er fand sich immer auf eine
nähere oder entferntere Weise in dem unschuldig
Unterdrückten, in dem Unzufriednen mit sich und
der Welt, in dem Schwermuthsvollen, und dem
Selbsthasser wieder. --

Die drückende Hitze im Sommer trieb ihn
oft aus seiner Stube in die Küche, oder in den
Hof hinunter, wo er sich auf einen Holzhaufen
setzte, und laß, und oft sein Gesicht verbergen
mußte, wenn etwa jemand hereintrat, und er
mit rothgeweinten Augen da saß. --

ben — Und alles was er that, um ſich hievon
loß zureißen, war im Grunde eine bloße Betaͤu¬
bung ſeines innern Schmerzes, und keine Hei¬
lung deſſelben — ſie erwachte mit jedem Tage
wieder, und waͤhrend daß ſeine Phantaſie ihm
manche Stunde lang ein taͤuſchendes Blendwerk
vormahlte, verwuͤnſchte er doch im Grunde ſein
Daſeyn. —

Die haͤufigen Thraͤnen welche er oft beim
Buche, und im Schauſpeilhauſe vergoß, floſſen
im Grunde eben ſowohl uͤber ſein eignes Schick¬
ſal, als uͤber das Schickſal der Perſon, an de¬
nen er Theil nahm, er fand ſich immer auf eine
naͤhere oder entferntere Weiſe in dem unſchuldig
Unterdruͤckten, in dem Unzufriednen mit ſich und
der Welt, in dem Schwermuthsvollen, und dem
Selbſthaſſer wieder. —

Die druͤckende Hitze im Sommer trieb ihn
oft aus ſeiner Stube in die Kuͤche, oder in den
Hof hinunter, wo er ſich auf einen Holzhaufen
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mußte, wenn etwa jemand hereintrat, und er
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[162/0172] ben — Und alles was er that, um ſich hievon loß zureißen, war im Grunde eine bloße Betaͤu¬ bung ſeines innern Schmerzes, und keine Hei¬ lung deſſelben — ſie erwachte mit jedem Tage wieder, und waͤhrend daß ſeine Phantaſie ihm manche Stunde lang ein taͤuſchendes Blendwerk vormahlte, verwuͤnſchte er doch im Grunde ſein Daſeyn. — Die haͤufigen Thraͤnen welche er oft beim Buche, und im Schauſpeilhauſe vergoß, floſſen im Grunde eben ſowohl uͤber ſein eignes Schick¬ ſal, als uͤber das Schickſal der Perſon, an de¬ nen er Theil nahm, er fand ſich immer auf eine naͤhere oder entferntere Weiſe in dem unſchuldig Unterdruͤckten, in dem Unzufriednen mit ſich und der Welt, in dem Schwermuthsvollen, und dem Selbſthaſſer wieder. — Die druͤckende Hitze im Sommer trieb ihn oft aus ſeiner Stube in die Kuͤche, oder in den Hof hinunter, wo er ſich auf einen Holzhaufen ſetzte, und laß, und oft ſein Geſicht verbergen mußte, wenn etwa jemand hereintrat, und er mit rothgeweinten Augen da ſaß. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/172>, abgerufen am 25.04.2024.