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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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ser spielte -- Er fand ein Vergnügen daran, sich
selbst, wie es zuweilen die Helden in den Trau¬
erspielen machen, mit der schwärzten Farben zu
schildern, und dann recht Tragisch gegen sich
selbst zu wüthen.

Da er nun niemand auf der Welt und auch
sich selbst nicht einmal zum Freunde hatte, was
konnte wohl anders sein Bestreben seyn, als sich,
so viel und so oft wie möglich, selbst zu vergessen.

Der Bücherantiquarius blieb daher seine im¬
merwährende Zuflucht, und ohne diesen würde
er seinen Zustand schwerlich ertragen haben, den
er sich nun in manchen Stunden nicht nur er¬
träglich sondern sogar angenehm zu machen
wußte, wenn er z. B. bei seinem Vetter dem
Peruquenmacher, ein kleines, freilich eben nicht
glänzendes Auditorium, um sich her versamm¬
len, und dem mit aller Fülle des Ausdruks
und der Deklamation, die ihm nur möglich war,
irgend eines seiner Lieblingstrauerspiele als Emi¬
lia Galotti
, Ugolino, oder sonst etwas Thrä¬
nenvolles, wie z. B. den Tod Abels von
Gaßner
, vorlesen konnte, wobei er denn ein

ſer ſpielte — Er fand ein Vergnuͤgen daran, ſich
ſelbſt, wie es zuweilen die Helden in den Trau¬
erſpielen machen, mit der ſchwaͤrzten Farben zu
ſchildern, und dann recht Tragiſch gegen ſich
ſelbſt zu wuͤthen.

Da er nun niemand auf der Welt und auch
ſich ſelbſt nicht einmal zum Freunde hatte, was
konnte wohl anders ſein Beſtreben ſeyn, als ſich,
ſo viel und ſo oft wie moͤglich, ſelbſt zu vergeſſen.

Der Buͤcherantiquarius blieb daher ſeine im¬
merwaͤhrende Zuflucht, und ohne dieſen wuͤrde
er ſeinen Zuſtand ſchwerlich ertragen haben, den
er ſich nun in manchen Stunden nicht nur er¬
traͤglich ſondern ſogar angenehm zu machen
wußte, wenn er z. B. bei ſeinem Vetter dem
Peruquenmacher, ein kleines, freilich eben nicht
glaͤnzendes Auditorium, um ſich her verſamm¬
len, und dem mit aller Fuͤlle des Ausdruks
und der Deklamation, die ihm nur moͤglich war,
irgend eines ſeiner Lieblingstrauerſpiele als Emi¬
lia Galotti
, Ugolino, oder ſonſt etwas Thraͤ¬
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[144/0154] ſer ſpielte — Er fand ein Vergnuͤgen daran, ſich ſelbſt, wie es zuweilen die Helden in den Trau¬ erſpielen machen, mit der ſchwaͤrzten Farben zu ſchildern, und dann recht Tragiſch gegen ſich ſelbſt zu wuͤthen. Da er nun niemand auf der Welt und auch ſich ſelbſt nicht einmal zum Freunde hatte, was konnte wohl anders ſein Beſtreben ſeyn, als ſich, ſo viel und ſo oft wie moͤglich, ſelbſt zu vergeſſen. Der Buͤcherantiquarius blieb daher ſeine im¬ merwaͤhrende Zuflucht, und ohne dieſen wuͤrde er ſeinen Zuſtand ſchwerlich ertragen haben, den er ſich nun in manchen Stunden nicht nur er¬ traͤglich ſondern ſogar angenehm zu machen wußte, wenn er z. B. bei ſeinem Vetter dem Peruquenmacher, ein kleines, freilich eben nicht glaͤnzendes Auditorium, um ſich her verſamm¬ len, und dem mit aller Fuͤlle des Ausdruks und der Deklamation, die ihm nur moͤglich war, irgend eines ſeiner Lieblingstrauerſpiele als Emi¬ lia Galotti, Ugolino, oder ſonſt etwas Thraͤ¬ nenvolles, wie z. B. den Tod Abels von Gaßner, vorleſen konnte, wobei er denn ein

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/154>, abgerufen am 28.03.2024.