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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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wieder an ihm nicht Theil nahm, sondern ihn
verachtete, hindansetzte und vergaß.

Allein man erwog nicht, daß eben dieß
Betragen, weswegen man ihn zurück setz¬
te, selbst eine Folge von vorhergegang¬
ner Zurücksetzung war -- Diese Zurückse¬
tzung, welche in einer Reihe von zufälligen
Umständen gegründet war, hatte den An¬
fang zu seinem Betragen, und nicht sein
Betragen, wie man glaubte, den Anfang
zur Zurücksetzung gemacht.

Möchte dieß alle Lehrer und Pädagogen auf¬
merksamer, und in ihren Urtheilen über die Ent¬
wickelung der Charaktere junger Leute behutsamer
machen, daß sie die Einwirkung unzähliger zu¬
fälliger Umstände mit in Anschlag brächten, und
von diesen erst die genaueste Erkundigung einzu¬
ziehen suchten, ehe sie es wagten, durch ihr Ur¬
theil über das Schicksal eines Menschen zu ent¬
scheiden, bei dem es vielleicht nur eines aufmun¬
ternden Blicks bedurfte, um ihn in plötzlich um¬
zuschaffen, weil nicht die Grundlage seines Cha¬
rakters, sondern eine sonderbare Verkettung von

wieder an ihm nicht Theil nahm, ſondern ihn
verachtete, hindanſetzte und vergaß.

Allein man erwog nicht, daß eben dieß
Betragen, weswegen man ihn zuruͤck ſetz¬
te, ſelbſt eine Folge von vorhergegang¬
ner Zuruͤckſetzung war — Dieſe Zuruͤckſe¬
tzung, welche in einer Reihe von zufaͤlligen
Umſtaͤnden gegruͤndet war, hatte den An¬
fang zu ſeinem Betragen, und nicht ſein
Betragen, wie man glaubte, den Anfang
zur Zuruͤckſetzung gemacht.

Moͤchte dieß alle Lehrer und Paͤdagogen auf¬
merkſamer, und in ihren Urtheilen uͤber die Ent¬
wickelung der Charaktere junger Leute behutſamer
machen, daß ſie die Einwirkung unzaͤhliger zu¬
faͤlliger Umſtaͤnde mit in Anſchlag braͤchten, und
von dieſen erſt die genaueſte Erkundigung einzu¬
ziehen ſuchten, ehe ſie es wagten, durch ihr Ur¬
theil uͤber das Schickſal eines Menſchen zu ent¬
ſcheiden, bei dem es vielleicht nur eines aufmun¬
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[136/0146] wieder an ihm nicht Theil nahm, ſondern ihn verachtete, hindanſetzte und vergaß. Allein man erwog nicht, daß eben dieß Betragen, weswegen man ihn zuruͤck ſetz¬ te, ſelbſt eine Folge von vorhergegang¬ ner Zuruͤckſetzung war — Dieſe Zuruͤckſe¬ tzung, welche in einer Reihe von zufaͤlligen Umſtaͤnden gegruͤndet war, hatte den An¬ fang zu ſeinem Betragen, und nicht ſein Betragen, wie man glaubte, den Anfang zur Zuruͤckſetzung gemacht. Moͤchte dieß alle Lehrer und Paͤdagogen auf¬ merkſamer, und in ihren Urtheilen uͤber die Ent¬ wickelung der Charaktere junger Leute behutſamer machen, daß ſie die Einwirkung unzaͤhliger zu¬ faͤlliger Umſtaͤnde mit in Anſchlag braͤchten, und von dieſen erſt die genaueſte Erkundigung einzu¬ ziehen ſuchten, ehe ſie es wagten, durch ihr Ur¬ theil uͤber das Schickſal eines Menſchen zu ent¬ ſcheiden, bei dem es vielleicht nur eines aufmun¬ ternden Blicks bedurfte, um ihn in ploͤtzlich um¬ zuſchaffen, weil nicht die Grundlage ſeines Cha¬ rakters, ſondern eine ſonderbare Verkettung von

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/146>, abgerufen am 25.04.2024.