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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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versität noch nichts. Ihm bezeichnete Famulus,
wo möglich noch weniger, als einen Bedienten,
der seinem Herren die Schuh puzt -- Dabei
däuchte es ihm, als ob er allgemein von seinen
Mitschülern mit einer Art von Verachtung be¬
trachtet wurde. -- Dann dachte er sich in seinem
kurzem Rocke, womit er sich immer selbst in einer
lächerlichen Gestalt erschien -- In Sekunda
war er ohngeachtet seiner schlechten Kleidung
von seinen Mitschülern noch geachtet worden,
wegen der hohen Meinung, die man davon hat¬
te, daß ihn der Prinz studieren ließ. In Pri¬
ma wußte man dieß zwar auch zum Theil, aber
die Idee, daß er beim Rektor Famulus war,
schien ihn in aller Augen herabzusetzen. -- Nun
kam in Prima außerordentlich viel auf den Plaz
an, wo man saß: höhere Plätze konnten nur
durch langen fortgesetzten Fleiß erlangt werden.
Gemeiniglich rückte man alle halbe Jahre nur
eine Bank in die Höhe -- Die ersten vier Bän¬
ke machten den untern, und die letztern drei den
obern Cötus aus -- Wer nun bei den halb¬
jährigen Versetzungen zurück blieb, für den war
dieß eine der größten Erniedrigungen.

verſitaͤt noch nichts. Ihm bezeichnete Famulus,
wo moͤglich noch weniger, als einen Bedienten,
der ſeinem Herren die Schuh puzt — Dabei
daͤuchte es ihm, als ob er allgemein von ſeinen
Mitſchuͤlern mit einer Art von Verachtung be¬
trachtet wurde. — Dann dachte er ſich in ſeinem
kurzem Rocke, womit er ſich immer ſelbſt in einer
laͤcherlichen Geſtalt erſchien — In Sekunda
war er ohngeachtet ſeiner ſchlechten Kleidung
von ſeinen Mitſchuͤlern noch geachtet worden,
wegen der hohen Meinung, die man davon hat¬
te, daß ihn der Prinz ſtudieren ließ. In Pri¬
ma wußte man dieß zwar auch zum Theil, aber
die Idee, daß er beim Rektor Famulus war,
ſchien ihn in aller Augen herabzuſetzen. — Nun
kam in Prima außerordentlich viel auf den Plaz
an, wo man ſaß: hoͤhere Plaͤtze konnten nur
durch langen fortgeſetzten Fleiß erlangt werden.
Gemeiniglich ruͤckte man alle halbe Jahre nur
eine Bank in die Hoͤhe — Die erſten vier Baͤn¬
ke machten den untern, und die letztern drei den
obern Coͤtus aus — Wer nun bei den halb¬
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dieß eine der groͤßten Erniedrigungen.

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[116/0126] verſitaͤt noch nichts. Ihm bezeichnete Famulus, wo moͤglich noch weniger, als einen Bedienten, der ſeinem Herren die Schuh puzt — Dabei daͤuchte es ihm, als ob er allgemein von ſeinen Mitſchuͤlern mit einer Art von Verachtung be¬ trachtet wurde. — Dann dachte er ſich in ſeinem kurzem Rocke, womit er ſich immer ſelbſt in einer laͤcherlichen Geſtalt erſchien — In Sekunda war er ohngeachtet ſeiner ſchlechten Kleidung von ſeinen Mitſchuͤlern noch geachtet worden, wegen der hohen Meinung, die man davon hat¬ te, daß ihn der Prinz ſtudieren ließ. In Pri¬ ma wußte man dieß zwar auch zum Theil, aber die Idee, daß er beim Rektor Famulus war, ſchien ihn in aller Augen herabzuſetzen. — Nun kam in Prima außerordentlich viel auf den Plaz an, wo man ſaß: hoͤhere Plaͤtze konnten nur durch langen fortgeſetzten Fleiß erlangt werden. Gemeiniglich ruͤckte man alle halbe Jahre nur eine Bank in die Hoͤhe — Die erſten vier Baͤn¬ ke machten den untern, und die letztern drei den obern Coͤtus aus — Wer nun bei den halb¬ jaͤhrigen Verſetzungen zuruͤck blieb, fuͤr den war dieß eine der groͤßten Erniedrigungen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/126>, abgerufen am 20.04.2024.