Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


zu bekämpfen; wir können, bei aller vorgegebenen Verachtung gegen alle Dinge außer uns, uns dennoch des heimlichen Wunsches nicht erwehren besser zu essen, und uns besser als jetzt kleiden zu können. Wir schelten unsre Freunde J. N. H. u.s.w. als eitle den sinnlichen Begierden ergebene Menschen, weil sie unsre Lebensart verlassen, und sich den, ihren Kräften angemessenen Geschäften unterzogen haben, worin besteht aber unser Vorzug vor ihnen, da wir unserer Neigung zum Müßiggange, so wie sie der ihrigen folgen? Laß uns diesen Vorzug blos darin zu erlangen suchen, daß wir uns zum wenigsten diese Wahrheit gestehn, indem jene nicht die Befriedigung ihrer besondern Begierden, sondern den Trieb zur Gemeinnützigkeit zum Grunde ihrer Handlungen angeben. L., bei dem die Rede seines Freundes einen starken Eindruck machte, antwortete hierauf mit einiger Wärme: Freund, du hast vollkommen Recht! Wenn wir schon jetzt unsre Fehler nicht verbessern können, so wollen wir doch hierin uns selbst nicht täuschen, und zum wenigsten den Weg zur Besserung offen halten.

Jn dergleichen Unterhaltungen brachten diese Zyniker ihre angenehmsten Stunden zu, indem sie sich zuweilen über die Welt, zuweilen über sich selbst lustig machten. L. z.B., dessen altes schmutziges Kleid ganz in Lumpen zerfallen, und wovon ein Aermel vom übrigen Kleide ganz abgetrennt war (indem er nicht einmal im Stande war es ausbessern zu lassen),


zu bekaͤmpfen; wir koͤnnen, bei aller vorgegebenen Verachtung gegen alle Dinge außer uns, uns dennoch des heimlichen Wunsches nicht erwehren besser zu essen, und uns besser als jetzt kleiden zu koͤnnen. Wir schelten unsre Freunde J. N. H. u.s.w. als eitle den sinnlichen Begierden ergebene Menschen, weil sie unsre Lebensart verlassen, und sich den, ihren Kraͤften angemessenen Geschaͤften unterzogen haben, worin besteht aber unser Vorzug vor ihnen, da wir unserer Neigung zum Muͤßiggange, so wie sie der ihrigen folgen? Laß uns diesen Vorzug blos darin zu erlangen suchen, daß wir uns zum wenigsten diese Wahrheit gestehn, indem jene nicht die Befriedigung ihrer besondern Begierden, sondern den Trieb zur Gemeinnuͤtzigkeit zum Grunde ihrer Handlungen angeben. L., bei dem die Rede seines Freundes einen starken Eindruck machte, antwortete hierauf mit einiger Waͤrme: Freund, du hast vollkommen Recht! Wenn wir schon jetzt unsre Fehler nicht verbessern koͤnnen, so wollen wir doch hierin uns selbst nicht taͤuschen, und zum wenigsten den Weg zur Besserung offen halten.

Jn dergleichen Unterhaltungen brachten diese Zyniker ihre angenehmsten Stunden zu, indem sie sich zuweilen uͤber die Welt, zuweilen uͤber sich selbst lustig machten. L. z.B., dessen altes schmutziges Kleid ganz in Lumpen zerfallen, und wovon ein Aermel vom uͤbrigen Kleide ganz abgetrennt war (indem er nicht einmal im Stande war es ausbessern zu lassen),

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="50"/><lb/>
zu beka&#x0364;mpfen; wir  ko&#x0364;nnen, bei aller vorgegebenen Verachtung gegen alle  Dinge außer uns, uns dennoch des heimlichen Wunsches  nicht erwehren besser zu essen, und uns besser als  jetzt kleiden zu ko&#x0364;nnen. Wir schelten unsre Freunde <hi rendition="#b">J. N. H.</hi> u.s.w. als eitle  den sinnlichen Begierden ergebene Menschen, weil sie  unsre Lebensart verlassen, und sich den, ihren  Kra&#x0364;ften angemessenen Gescha&#x0364;ften unterzogen haben,  worin besteht aber unser Vorzug vor ihnen, da wir  unserer Neigung zum Mu&#x0364;ßiggange, so wie sie der  ihrigen folgen? Laß uns diesen Vorzug blos darin zu  erlangen suchen, daß wir uns zum wenigsten diese  Wahrheit gestehn, indem jene nicht die Befriedigung  ihrer besondern Begierden, sondern den Trieb zur  Gemeinnu&#x0364;tzigkeit zum Grunde ihrer Handlungen  angeben. <hi rendition="#b">L.,</hi> bei dem die  Rede seines Freundes einen starken Eindruck machte,  antwortete hierauf mit einiger Wa&#x0364;rme: Freund, du  hast vollkommen Recht! Wenn wir schon jetzt unsre  Fehler nicht verbessern ko&#x0364;nnen, so wollen wir doch  hierin <hi rendition="#b">uns selbst nicht  ta&#x0364;uschen,</hi> und zum wenigsten <hi rendition="#b">den Weg zur Besserung offen  halten.</hi></p>
            <p>Jn dergleichen Unterhaltungen brachten diese <hi rendition="#b">Zyniker</hi> ihre angenehmsten  Stunden zu, indem sie sich zuweilen <hi rendition="#b">u&#x0364;ber die Welt,</hi> zuweilen <hi rendition="#b">u&#x0364;ber sich selbst</hi> lustig  machten. L. z.B., dessen altes schmutziges Kleid  ganz in Lumpen zerfallen, und wovon ein Aermel vom  u&#x0364;brigen Kleide ganz abgetrennt war (indem er nicht  einmal im Stande war es ausbessern zu lassen),<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] zu bekaͤmpfen; wir koͤnnen, bei aller vorgegebenen Verachtung gegen alle Dinge außer uns, uns dennoch des heimlichen Wunsches nicht erwehren besser zu essen, und uns besser als jetzt kleiden zu koͤnnen. Wir schelten unsre Freunde J. N. H. u.s.w. als eitle den sinnlichen Begierden ergebene Menschen, weil sie unsre Lebensart verlassen, und sich den, ihren Kraͤften angemessenen Geschaͤften unterzogen haben, worin besteht aber unser Vorzug vor ihnen, da wir unserer Neigung zum Muͤßiggange, so wie sie der ihrigen folgen? Laß uns diesen Vorzug blos darin zu erlangen suchen, daß wir uns zum wenigsten diese Wahrheit gestehn, indem jene nicht die Befriedigung ihrer besondern Begierden, sondern den Trieb zur Gemeinnuͤtzigkeit zum Grunde ihrer Handlungen angeben. L., bei dem die Rede seines Freundes einen starken Eindruck machte, antwortete hierauf mit einiger Waͤrme: Freund, du hast vollkommen Recht! Wenn wir schon jetzt unsre Fehler nicht verbessern koͤnnen, so wollen wir doch hierin uns selbst nicht taͤuschen, und zum wenigsten den Weg zur Besserung offen halten. Jn dergleichen Unterhaltungen brachten diese Zyniker ihre angenehmsten Stunden zu, indem sie sich zuweilen uͤber die Welt, zuweilen uͤber sich selbst lustig machten. L. z.B., dessen altes schmutziges Kleid ganz in Lumpen zerfallen, und wovon ein Aermel vom uͤbrigen Kleide ganz abgetrennt war (indem er nicht einmal im Stande war es ausbessern zu lassen),

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/50
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/50>, abgerufen am 29.03.2024.