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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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Lapidoth hatte arme Schwiegereltern. Sein Schwiegervater war jüdischer Küster, und konnte mit seinem geringen Gehalte nur sehr kümmerlich eine Familie ernähren. Alle Freitage mußte daher dieser arme Mann von seiner Frau allerhand Schelt- und Schimpfwörter hören, weil er ihr nicht einmal das zum heiligen Schabath Unentbehrliche verschaffen konnte. Lapidoth erzählte dieses seinem Freunde B. J., mit dem Zusatze: Meine Schwiegermutter will mich glauben machen, als eifere sie blos für die Ehre des heiligen Schabath. Nein wahrhaftig, sie eifert blos für die Ehre ihres heiligen Wanstes, den sie nicht nach Belieben füllen kann: der heilige Schabath dient ihr blos zum Vorwande dazu.

Da diese Freunde einst auf dem Walle um die Stadt spazieren giengen, und sich über die, aus dergleichen Aeußerungen offenbare, Neigung des Menschen, sich selbst und andere zu täuschen, unterhielten, sagte B. J. zu L.: Freund! laß uns billig seyn, und uns selbst, so wie die andern, unsre Censur passiren. Sollte nicht die, unsern Umständen nicht angemessene kontemplative Lebensart, die wir führen, eine Folge unsrer Trägheit und Neigung zum Müßiggange seyn, die wir durch Reflexionen über die Eitelkeit aller Dinge zu unterstützen suchen? Wir sind mit unsern jetzigen Umständen zufrieden, warum? weil wir sie nicht ändern können, ohne vorher unsre Neigung zum Müßiggange


Lapidoth hatte arme Schwiegereltern. Sein Schwiegervater war juͤdischer Kuͤster, und konnte mit seinem geringen Gehalte nur sehr kuͤmmerlich eine Familie ernaͤhren. Alle Freitage mußte daher dieser arme Mann von seiner Frau allerhand Schelt- und Schimpfwoͤrter hoͤren, weil er ihr nicht einmal das zum heiligen Schabath Unentbehrliche verschaffen konnte. Lapidoth erzaͤhlte dieses seinem Freunde B. J., mit dem Zusatze: Meine Schwiegermutter will mich glauben machen, als eifere sie blos fuͤr die Ehre des heiligen Schabath. Nein wahrhaftig, sie eifert blos fuͤr die Ehre ihres heiligen Wanstes, den sie nicht nach Belieben fuͤllen kann: der heilige Schabath dient ihr blos zum Vorwande dazu.

Da diese Freunde einst auf dem Walle um die Stadt spazieren giengen, und sich uͤber die, aus dergleichen Aeußerungen offenbare, Neigung des Menschen, sich selbst und andere zu taͤuschen, unterhielten, sagte B. J. zu L.: Freund! laß uns billig seyn, und uns selbst, so wie die andern, unsre Censur passiren. Sollte nicht die, unsern Umstaͤnden nicht angemessene kontemplative Lebensart, die wir fuͤhren, eine Folge unsrer Traͤgheit und Neigung zum Muͤßiggange seyn, die wir durch Reflexionen uͤber die Eitelkeit aller Dinge zu unterstuͤtzen suchen? Wir sind mit unsern jetzigen Umstaͤnden zufrieden, warum? weil wir sie nicht aͤndern koͤnnen, ohne vorher unsre Neigung zum Muͤßiggange

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[49/0049] Lapidoth hatte arme Schwiegereltern. Sein Schwiegervater war juͤdischer Kuͤster, und konnte mit seinem geringen Gehalte nur sehr kuͤmmerlich eine Familie ernaͤhren. Alle Freitage mußte daher dieser arme Mann von seiner Frau allerhand Schelt- und Schimpfwoͤrter hoͤren, weil er ihr nicht einmal das zum heiligen Schabath Unentbehrliche verschaffen konnte. Lapidoth erzaͤhlte dieses seinem Freunde B. J., mit dem Zusatze: Meine Schwiegermutter will mich glauben machen, als eifere sie blos fuͤr die Ehre des heiligen Schabath. Nein wahrhaftig, sie eifert blos fuͤr die Ehre ihres heiligen Wanstes, den sie nicht nach Belieben fuͤllen kann: der heilige Schabath dient ihr blos zum Vorwande dazu. Da diese Freunde einst auf dem Walle um die Stadt spazieren giengen, und sich uͤber die, aus dergleichen Aeußerungen offenbare, Neigung des Menschen, sich selbst und andere zu taͤuschen, unterhielten, sagte B. J. zu L.: Freund! laß uns billig seyn, und uns selbst, so wie die andern, unsre Censur passiren. Sollte nicht die, unsern Umstaͤnden nicht angemessene kontemplative Lebensart, die wir fuͤhren, eine Folge unsrer Traͤgheit und Neigung zum Muͤßiggange seyn, die wir durch Reflexionen uͤber die Eitelkeit aller Dinge zu unterstuͤtzen suchen? Wir sind mit unsern jetzigen Umstaͤnden zufrieden, warum? weil wir sie nicht aͤndern koͤnnen, ohne vorher unsre Neigung zum Muͤßiggange

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/49>, abgerufen am 19.04.2024.