Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


dadurch zum Narren geworden? Mußte man sie in Absicht auf diesen Punkt also nicht schon ihr ganzes Leben hindurch eine Närrin heißen? und doch, wer hätte es gewagt, sie so lange von der Zahl vernünftiger Menschen auszuschließen? -- also --

Weiter will ich der eignen Beurtheilung des Lesers nicht vorgreifen. Aber Folgerungen herzuleiten, giebt diese Erzählung Stoff genug. Die alten Zeiten sind vorbei, da Sterndeutung und Zauberei noch galten, da an Schwarzkünstler und Pfaffen noch der menschliche Verstand zu gleichen Rechten verpachtet war. Jetzt ist ihre Macht gedämpft, ihre Schattenbilder hat die Zeit verlöscht. Jene Meister sind nicht mehr, die Menschenseelen gefesselt hielten, und über ihren Verstand das Scepter schwungen. Jhre Gebeine drückt das Grab und die lange Vergessenheit. Wir sind besser als unsre Väter, uns lohnt das Schicksal mit Licht und mit Freiheit. Wir, entfesselt von dem Joche unsrer Ahnen, schlürfen mit vollen Zügen Aufklärung ein, und, begeistert von ihrer Kraft, fühlen wir uns selbst stark genug, eigne Systeme zu weben, eigne Gänge uns zu hauen zu dem Verborgenen, zu dem das unsre schaffende Seele uns weissagt, das in ihr ruht, und das sie noch nie außer sich wahrnahm. -- O kehrt nur wieder aus Euern Grä-


dadurch zum Narren geworden? Mußte man sie in Absicht auf diesen Punkt also nicht schon ihr ganzes Leben hindurch eine Naͤrrin heißen? und doch, wer haͤtte es gewagt, sie so lange von der Zahl vernuͤnftiger Menschen auszuschließen? — also —

Weiter will ich der eignen Beurtheilung des Lesers nicht vorgreifen. Aber Folgerungen herzuleiten, giebt diese Erzaͤhlung Stoff genug. Die alten Zeiten sind vorbei, da Sterndeutung und Zauberei noch galten, da an Schwarzkuͤnstler und Pfaffen noch der menschliche Verstand zu gleichen Rechten verpachtet war. Jetzt ist ihre Macht gedaͤmpft, ihre Schattenbilder hat die Zeit verloͤscht. Jene Meister sind nicht mehr, die Menschenseelen gefesselt hielten, und uͤber ihren Verstand das Scepter schwungen. Jhre Gebeine druͤckt das Grab und die lange Vergessenheit. Wir sind besser als unsre Vaͤter, uns lohnt das Schicksal mit Licht und mit Freiheit. Wir, entfesselt von dem Joche unsrer Ahnen, schluͤrfen mit vollen Zuͤgen Aufklaͤrung ein, und, begeistert von ihrer Kraft, fuͤhlen wir uns selbst stark genug, eigne Systeme zu weben, eigne Gaͤnge uns zu hauen zu dem Verborgenen, zu dem das unsre schaffende Seele uns weissagt, das in ihr ruht, und das sie noch nie außer sich wahrnahm. — O kehrt nur wieder aus Euern Graͤ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0039" n="39"/><lb/>
dadurch zum Narren geworden? Mußte man sie in  Absicht auf diesen Punkt also nicht schon ihr ganzes  Leben hindurch eine Na&#x0364;rrin heißen? und doch, wer  ha&#x0364;tte es gewagt, sie so lange von der Zahl  vernu&#x0364;nftiger Menschen auszuschließen? &#x2014; also &#x2014;</p>
            <p>Weiter will ich der eignen Beurtheilung des Lesers nicht  vorgreifen. Aber Folgerungen herzuleiten, giebt  diese Erza&#x0364;hlung Stoff genug. Die alten Zeiten sind  vorbei, da Sterndeutung und Zauberei noch galten, da  an Schwarzku&#x0364;nstler und Pfaffen noch der menschliche  Verstand zu gleichen Rechten verpachtet war. Jetzt  ist ihre Macht geda&#x0364;mpft, ihre Schattenbilder hat die  Zeit verlo&#x0364;scht. Jene Meister sind nicht mehr, die  Menschenseelen gefesselt hielten, und u&#x0364;ber ihren  Verstand das Scepter schwungen. Jhre Gebeine dru&#x0364;ckt  das Grab und die lange Vergessenheit. Wir sind  besser als unsre Va&#x0364;ter, uns lohnt das Schicksal mit  Licht und mit Freiheit. Wir, entfesselt von dem  Joche unsrer Ahnen, schlu&#x0364;rfen mit vollen Zu&#x0364;gen  Aufkla&#x0364;rung ein, und, begeistert von ihrer Kraft,  fu&#x0364;hlen wir uns selbst stark genug, eigne Systeme zu  weben, eigne Ga&#x0364;nge uns zu hauen zu dem Verborgenen,  zu dem das unsre schaffende Seele uns weissagt, das  in ihr ruht, und das sie noch nie außer sich  wahrnahm. &#x2014; O kehrt nur wieder aus Euern Gra&#x0364;-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0039] dadurch zum Narren geworden? Mußte man sie in Absicht auf diesen Punkt also nicht schon ihr ganzes Leben hindurch eine Naͤrrin heißen? und doch, wer haͤtte es gewagt, sie so lange von der Zahl vernuͤnftiger Menschen auszuschließen? — also — Weiter will ich der eignen Beurtheilung des Lesers nicht vorgreifen. Aber Folgerungen herzuleiten, giebt diese Erzaͤhlung Stoff genug. Die alten Zeiten sind vorbei, da Sterndeutung und Zauberei noch galten, da an Schwarzkuͤnstler und Pfaffen noch der menschliche Verstand zu gleichen Rechten verpachtet war. Jetzt ist ihre Macht gedaͤmpft, ihre Schattenbilder hat die Zeit verloͤscht. Jene Meister sind nicht mehr, die Menschenseelen gefesselt hielten, und uͤber ihren Verstand das Scepter schwungen. Jhre Gebeine druͤckt das Grab und die lange Vergessenheit. Wir sind besser als unsre Vaͤter, uns lohnt das Schicksal mit Licht und mit Freiheit. Wir, entfesselt von dem Joche unsrer Ahnen, schluͤrfen mit vollen Zuͤgen Aufklaͤrung ein, und, begeistert von ihrer Kraft, fuͤhlen wir uns selbst stark genug, eigne Systeme zu weben, eigne Gaͤnge uns zu hauen zu dem Verborgenen, zu dem das unsre schaffende Seele uns weissagt, das in ihr ruht, und das sie noch nie außer sich wahrnahm. — O kehrt nur wieder aus Euern Graͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/39
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/39>, abgerufen am 28.03.2024.