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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

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die Bilder und Anschauungen unsre Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehn, und wir sowohl wegen der Stärke des Eindrucks, als auch wegen des Vergnügens, welches ihre Betrachtung oft gewährt, so lange bei ihnen verweilen, bis uns die Verbindung der vorhergegangenen Jdeen, der Zweck, weswegen wir jede Jdee herbeigerufen haben, und die Absicht der ganzen Untersuchung nicht mehr deutlich beiwohnt. Auch bringen die Anschauungen und Bilder alles das wieder in die natürliche Ordnung; sie verbinden, was der Verstand um Deutlichkeit zu bewürken getrennt, oder trennen, was er verbunden hat.

Bei Erlernung einer Wissenschaft, oder wenn wir eine eigne Untersuchung zu Ende bringen wollen, erregen die sinnlichen Vorstellungen die oben gerügten Schwierigkeiten, dahingegen die unsinnlichen und abstrakten, Zweifel über ihre Möglichkeit und Anwendbarkeit erwecken, und noch überdies von sinnlichen Vorstellungen leicht verdrängt werden.

Die einzige Wissenschaft, welche hierin eine Ausnahme macht, ist die Geometrie, ihre allgemeinen sowohl, als ihre besondern Begriffe, sind selbst Anschauungen; Begriffe und Anschauungen fallen also in derselben in einander, so daß die Vernunft und der Verstand, durch die Betrachtung der letzteren gar nicht gestört, wohl aber sehr begünstigt wird.

Es erklärt sich hieraus eine Wahrnehmung, welche in den vortreflichen Briefen, die neueste Litte-


die Bilder und Anschauungen unsre Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehn, und wir sowohl wegen der Staͤrke des Eindrucks, als auch wegen des Vergnuͤgens, welches ihre Betrachtung oft gewaͤhrt, so lange bei ihnen verweilen, bis uns die Verbindung der vorhergegangenen Jdeen, der Zweck, weswegen wir jede Jdee herbeigerufen haben, und die Absicht der ganzen Untersuchung nicht mehr deutlich beiwohnt. Auch bringen die Anschauungen und Bilder alles das wieder in die natuͤrliche Ordnung; sie verbinden, was der Verstand um Deutlichkeit zu bewuͤrken getrennt, oder trennen, was er verbunden hat.

Bei Erlernung einer Wissenschaft, oder wenn wir eine eigne Untersuchung zu Ende bringen wollen, erregen die sinnlichen Vorstellungen die oben geruͤgten Schwierigkeiten, dahingegen die unsinnlichen und abstrakten, Zweifel uͤber ihre Moͤglichkeit und Anwendbarkeit erwecken, und noch uͤberdies von sinnlichen Vorstellungen leicht verdraͤngt werden.

Die einzige Wissenschaft, welche hierin eine Ausnahme macht, ist die Geometrie, ihre allgemeinen sowohl, als ihre besondern Begriffe, sind selbst Anschauungen; Begriffe und Anschauungen fallen also in derselben in einander, so daß die Vernunft und der Verstand, durch die Betrachtung der letzteren gar nicht gestoͤrt, wohl aber sehr beguͤnstigt wird.

Es erklaͤrt sich hieraus eine Wahrnehmung, welche in den vortreflichen Briefen, die neueste Litte-

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[16/0016] die Bilder und Anschauungen unsre Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehn, und wir sowohl wegen der Staͤrke des Eindrucks, als auch wegen des Vergnuͤgens, welches ihre Betrachtung oft gewaͤhrt, so lange bei ihnen verweilen, bis uns die Verbindung der vorhergegangenen Jdeen, der Zweck, weswegen wir jede Jdee herbeigerufen haben, und die Absicht der ganzen Untersuchung nicht mehr deutlich beiwohnt. Auch bringen die Anschauungen und Bilder alles das wieder in die natuͤrliche Ordnung; sie verbinden, was der Verstand um Deutlichkeit zu bewuͤrken getrennt, oder trennen, was er verbunden hat. Bei Erlernung einer Wissenschaft, oder wenn wir eine eigne Untersuchung zu Ende bringen wollen, erregen die sinnlichen Vorstellungen die oben geruͤgten Schwierigkeiten, dahingegen die unsinnlichen und abstrakten, Zweifel uͤber ihre Moͤglichkeit und Anwendbarkeit erwecken, und noch uͤberdies von sinnlichen Vorstellungen leicht verdraͤngt werden. Die einzige Wissenschaft, welche hierin eine Ausnahme macht, ist die Geometrie, ihre allgemeinen sowohl, als ihre besondern Begriffe, sind selbst Anschauungen; Begriffe und Anschauungen fallen also in derselben in einander, so daß die Vernunft und der Verstand, durch die Betrachtung der letzteren gar nicht gestoͤrt, wohl aber sehr beguͤnstigt wird. Es erklaͤrt sich hieraus eine Wahrnehmung, welche in den vortreflichen Briefen, die neueste Litte-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/16>, abgerufen am 29.03.2024.