Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


ihnen korrespondirende Veränderungen des Körpers, und so auch umgekehrt; und es kömmt also in der Seelenarzeneikunde blos auf diese Untersuchung an: ob man unmittelbar in dem Körper oder in der Seele Veränderung der Krankheit hervorbringen solle?

Jch bemerke aber, daß ohngeachtet dieser genauen Verbindung zwischen Seele und Körper, die Seele auch in sich selbst würkt, d.h. Modifikationen hervorbringt, denen keine körperliche Modifikationen entsprechen. Von dieser Art sind die Würkungen der sogenannten höhern Seelenkräfte und des freien Willens. Jene, in so fern sie von den Bedingungen der Sinnlichkeit, Zeit und Raum, unabhängig sind, folglich ihnen nichts Sinnliches entsprechen kann. Denn einer sinnlichen Vorstellung entspricht allerdings eine besondere körperliche Modifikation; einem Verstandesbegriffe und Urtheile hingegen kann keine körperliche Modifikation entsprechen, weil diese in Zeit und Raum entsteht, jene aber nicht. Diese, nehmlich die Würkungen des freien Willens sind nicht nur von den Organenwürkungen unabhängig, sondern sogar denselben entgegengesetzt. Denn eine gewisse Veränderung in den Organen bringt eine angenehme Empfindung, und diese einen Trieb hervor. Der freie Wille aber widersetzt sich diesem Triebe.

Dieses vorausgeschickt, werde ich auch im Stande seyn, zu erklären, worin die Seelenge-


ihnen korrespondirende Veraͤnderungen des Koͤrpers, und so auch umgekehrt; und es koͤmmt also in der Seelenarzeneikunde blos auf diese Untersuchung an: ob man unmittelbar in dem Koͤrper oder in der Seele Veraͤnderung der Krankheit hervorbringen solle?

Jch bemerke aber, daß ohngeachtet dieser genauen Verbindung zwischen Seele und Koͤrper, die Seele auch in sich selbst wuͤrkt, d.h. Modifikationen hervorbringt, denen keine koͤrperliche Modifikationen entsprechen. Von dieser Art sind die Wuͤrkungen der sogenannten hoͤhern Seelenkraͤfte und des freien Willens. Jene, in so fern sie von den Bedingungen der Sinnlichkeit, Zeit und Raum, unabhaͤngig sind, folglich ihnen nichts Sinnliches entsprechen kann. Denn einer sinnlichen Vorstellung entspricht allerdings eine besondere koͤrperliche Modifikation; einem Verstandesbegriffe und Urtheile hingegen kann keine koͤrperliche Modifikation entsprechen, weil diese in Zeit und Raum entsteht, jene aber nicht. Diese, nehmlich die Wuͤrkungen des freien Willens sind nicht nur von den Organenwuͤrkungen unabhaͤngig, sondern sogar denselben entgegengesetzt. Denn eine gewisse Veraͤnderung in den Organen bringt eine angenehme Empfindung, und diese einen Trieb hervor. Der freie Wille aber widersetzt sich diesem Triebe.

Dieses vorausgeschickt, werde ich auch im Stande seyn, zu erklaͤren, worin die Seelenge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0010" n="8"/><lb/>
ihnen                         korrespondirende Vera&#x0364;nderungen des Ko&#x0364;rpers, und so auch umgekehrt; und es                         ko&#x0364;mmt also in der Seelenarzeneikunde blos auf diese Untersuchung an: ob man <hi rendition="#b">unmittelbar </hi> in dem Ko&#x0364;rper oder in der Seele                         Vera&#x0364;nderung der Krankheit hervorbringen solle? </p>
            <p>Jch bemerke aber, daß ohngeachtet dieser genauen Verbindung zwischen Seele                         und Ko&#x0364;rper, die Seele auch <hi rendition="#b">in sich selbst</hi> wu&#x0364;rkt,                         d.h. Modifikationen hervorbringt, denen keine ko&#x0364;rperliche Modifikationen                         entsprechen. Von dieser Art sind die Wu&#x0364;rkungen der sogenannten <hi rendition="#b">ho&#x0364;hern Seelenkra&#x0364;fte</hi> und des <hi rendition="#b">freien                             Willens.</hi> Jene, in so fern sie von den Bedingungen der                         Sinnlichkeit, Zeit und Raum, unabha&#x0364;ngig sind, folglich ihnen nichts                         Sinnliches entsprechen kann. Denn einer <hi rendition="#b">sinnlichen                             Vorstellung</hi> entspricht allerdings eine besondere <hi rendition="#b">ko&#x0364;rperliche Modifikation;</hi> einem <hi rendition="#b">Verstandesbegriffe</hi> und <hi rendition="#b">Urtheile</hi> hingegen kann keine ko&#x0364;rperliche Modifikation entsprechen, weil diese in Zeit                         und Raum entsteht, jene aber nicht. Diese, nehmlich die Wu&#x0364;rkungen des <hi rendition="#b">freien Willens</hi> sind nicht nur von den                         Organenwu&#x0364;rkungen unabha&#x0364;ngig, sondern sogar denselben entgegengesetzt. Denn                         eine gewisse Vera&#x0364;nderung in den Organen bringt eine <hi rendition="#b">angenehme Empfindung</hi>, und diese einen <hi rendition="#b">Trieb</hi> hervor. Der <hi rendition="#b">freie Wille</hi> aber                         widersetzt sich diesem Triebe.</p>
            <p>Dieses vorausgeschickt, werde ich auch im Stande seyn, zu erkla&#x0364;ren, worin die <hi rendition="#b">Seelenge-<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0010] ihnen korrespondirende Veraͤnderungen des Koͤrpers, und so auch umgekehrt; und es koͤmmt also in der Seelenarzeneikunde blos auf diese Untersuchung an: ob man unmittelbar in dem Koͤrper oder in der Seele Veraͤnderung der Krankheit hervorbringen solle? Jch bemerke aber, daß ohngeachtet dieser genauen Verbindung zwischen Seele und Koͤrper, die Seele auch in sich selbst wuͤrkt, d.h. Modifikationen hervorbringt, denen keine koͤrperliche Modifikationen entsprechen. Von dieser Art sind die Wuͤrkungen der sogenannten hoͤhern Seelenkraͤfte und des freien Willens. Jene, in so fern sie von den Bedingungen der Sinnlichkeit, Zeit und Raum, unabhaͤngig sind, folglich ihnen nichts Sinnliches entsprechen kann. Denn einer sinnlichen Vorstellung entspricht allerdings eine besondere koͤrperliche Modifikation; einem Verstandesbegriffe und Urtheile hingegen kann keine koͤrperliche Modifikation entsprechen, weil diese in Zeit und Raum entsteht, jene aber nicht. Diese, nehmlich die Wuͤrkungen des freien Willens sind nicht nur von den Organenwuͤrkungen unabhaͤngig, sondern sogar denselben entgegengesetzt. Denn eine gewisse Veraͤnderung in den Organen bringt eine angenehme Empfindung, und diese einen Trieb hervor. Der freie Wille aber widersetzt sich diesem Triebe. Dieses vorausgeschickt, werde ich auch im Stande seyn, zu erklaͤren, worin die Seelenge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/10
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/10>, abgerufen am 20.04.2024.