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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Die aus der Psychologie bekannten Seelenkräfte sind: 1) die sogenannten höhern Kräfte, nehmlich Verstand und Vernunft. 2) Die niedrigern Kräfte: Empfindung, Einbildungskraft, Erinnerung, Witz u.d.gl.

Man nennt nehmlich höhere Seelenkräfte diejenigen Wirkungsarten, die a) (in Beziehung auf bestimmte Objekte) Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit enthalten; und deren b) Wirkungen wahre Einheiten der Natur sind, und daher nicht in Zeit und Raum gedacht und folglich an sich auch nicht verändert werden können. Diejenigen aber die diese Kriterien nicht haben, werden die niedern Kräfte genannt.

Der Verstand denkt Begriffe von Objekten und urtheilt von den Verhältnissen dieser Objekte a priori. Diese beiden Wirkungen müssen in Beziehung auf dieselben Objekte, in Ansehung eines jeden Subjekts, nothwendig und allgemeingültig seyn, oder man muß diese Wirkungen selbst in Zweifel ziehn, und allen Anspruch auf Erkenntnis der Wahrheit aufgeben.

Ferner ist der Begrif der Möglichkeit eines Objekts oder des Verhältnisses verschiedener Objekte eine untheilbare Einheit. Der Begriff eines Dreieckes ist blos darum möglich, weil die drei Linien (als die Bestimmungen), ohne Raum (als das dadurch Bestimmte) nicht gedacht werden können. Dieses Objekt entsteht also nicht in der Zeit, so


Die aus der Psychologie bekannten Seelenkraͤfte sind: 1) die sogenannten hoͤhern Kraͤfte, nehmlich Verstand und Vernunft. 2) Die niedrigern Kraͤfte: Empfindung, Einbildungskraft, Erinnerung, Witz u.d.gl.

Man nennt nehmlich hoͤhere Seelenkraͤfte diejenigen Wirkungsarten, die a) (in Beziehung auf bestimmte Objekte) Nothwendigkeit und Allgemeinguͤltigkeit enthalten; und deren b) Wirkungen wahre Einheiten der Natur sind, und daher nicht in Zeit und Raum gedacht und folglich an sich auch nicht veraͤndert werden koͤnnen. Diejenigen aber die diese Kriterien nicht haben, werden die niedern Kraͤfte genannt.

Der Verstand denkt Begriffe von Objekten und urtheilt von den Verhaͤltnissen dieser Objekte a priori. Diese beiden Wirkungen muͤssen in Beziehung auf dieselben Objekte, in Ansehung eines jeden Subjekts, nothwendig und allgemeinguͤltig seyn, oder man muß diese Wirkungen selbst in Zweifel ziehn, und allen Anspruch auf Erkenntnis der Wahrheit aufgeben.

Ferner ist der Begrif der Moͤglichkeit eines Objekts oder des Verhaͤltnisses verschiedener Objekte eine untheilbare Einheit. Der Begriff eines Dreieckes ist blos darum moͤglich, weil die drei Linien (als die Bestimmungen), ohne Raum (als das dadurch Bestimmte) nicht gedacht werden koͤnnen. Dieses Objekt entsteht also nicht in der Zeit, so

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[4/0004] Die aus der Psychologie bekannten Seelenkraͤfte sind: 1) die sogenannten hoͤhern Kraͤfte, nehmlich Verstand und Vernunft. 2) Die niedrigern Kraͤfte: Empfindung, Einbildungskraft, Erinnerung, Witz u.d.gl. Man nennt nehmlich hoͤhere Seelenkraͤfte diejenigen Wirkungsarten, die a) (in Beziehung auf bestimmte Objekte) Nothwendigkeit und Allgemeinguͤltigkeit enthalten; und deren b) Wirkungen wahre Einheiten der Natur sind, und daher nicht in Zeit und Raum gedacht und folglich an sich auch nicht veraͤndert werden koͤnnen. Diejenigen aber die diese Kriterien nicht haben, werden die niedern Kraͤfte genannt. Der Verstand denkt Begriffe von Objekten und urtheilt von den Verhaͤltnissen dieser Objekte a priori. Diese beiden Wirkungen muͤssen in Beziehung auf dieselben Objekte, in Ansehung eines jeden Subjekts, nothwendig und allgemeinguͤltig seyn, oder man muß diese Wirkungen selbst in Zweifel ziehn, und allen Anspruch auf Erkenntnis der Wahrheit aufgeben. Ferner ist der Begrif der Moͤglichkeit eines Objekts oder des Verhaͤltnisses verschiedener Objekte eine untheilbare Einheit. Der Begriff eines Dreieckes ist blos darum moͤglich, weil die drei Linien (als die Bestimmungen), ohne Raum (als das dadurch Bestimmte) nicht gedacht werden koͤnnen. Dieses Objekt entsteht also nicht in der Zeit, so

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/4>, abgerufen am 28.03.2024.