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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

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Jn dieser Krankheit aber betrug er sich so, daß man nicht zu viel sagen würde, wenn man sein Betragen weise nennte. Er blieb bis an seinen Tod bei vollkommnem Verstande, so daß er alle Veränderungen, welche diese Krankheit bei ihm machte, genau bemerkte und beschrieb.

Nachdem diese Krankheit nehmlich einige Tage gedauert hatte, bekam er auf einmal konvulsivische Zuckungen, wovon er sagte, daß dieser Zustand gar nicht so schlimm wäre wie er zu seyn schiene, und wie er sich denselben selbst sonst gedacht hätte. Er hätte noch nie in seinem Leben einen solchen Zufall gehabt, aber er könnte nun mit Wahrheit sagen, daß er jetzt auch nicht die mindeste Empfindung noch Bewußtseyn dabei gehabt habe. Dieser Zufall war ihm unterdessen ein sicheres Merkmal seines herannahenden Todes, und ohne die geringste Furcht vor denselben zu bezeigen, ordnete er nun bis auf die kleinsten Umstände sein Begräbniß an.

Etwas nach diesen Zuckungen sagte er: es wäre ihm, als ob er beständig läuten, und dabei wie in einer Kirche, singen höre; einen Tag später, da es doch ein recht heller Tag war, daß es ihm vorkäme, als ob es recht trübe und dunkel Wetter wäre; einige Stunden vor seinem Tode aber, daß ihm alle Gegenstände in die Ferne zurückzugehen schienen.

Während seiner Krankheit aber las er, so lange es ihm möglich war, noch immer in den gedachten


Jn dieser Krankheit aber betrug er sich so, daß man nicht zu viel sagen wuͤrde, wenn man sein Betragen weise nennte. Er blieb bis an seinen Tod bei vollkommnem Verstande, so daß er alle Veraͤnderungen, welche diese Krankheit bei ihm machte, genau bemerkte und beschrieb.

Nachdem diese Krankheit nehmlich einige Tage gedauert hatte, bekam er auf einmal konvulsivische Zuckungen, wovon er sagte, daß dieser Zustand gar nicht so schlimm waͤre wie er zu seyn schiene, und wie er sich denselben selbst sonst gedacht haͤtte. Er haͤtte noch nie in seinem Leben einen solchen Zufall gehabt, aber er koͤnnte nun mit Wahrheit sagen, daß er jetzt auch nicht die mindeste Empfindung noch Bewußtseyn dabei gehabt habe. Dieser Zufall war ihm unterdessen ein sicheres Merkmal seines herannahenden Todes, und ohne die geringste Furcht vor denselben zu bezeigen, ordnete er nun bis auf die kleinsten Umstaͤnde sein Begraͤbniß an.

Etwas nach diesen Zuckungen sagte er: es waͤre ihm, als ob er bestaͤndig laͤuten, und dabei wie in einer Kirche, singen hoͤre; einen Tag spaͤter, da es doch ein recht heller Tag war, daß es ihm vorkaͤme, als ob es recht truͤbe und dunkel Wetter waͤre; einige Stunden vor seinem Tode aber, daß ihm alle Gegenstaͤnde in die Ferne zuruͤckzugehen schienen.

Waͤhrend seiner Krankheit aber las er, so lange es ihm moͤglich war, noch immer in den gedachten

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[96/0096] Jn dieser Krankheit aber betrug er sich so, daß man nicht zu viel sagen wuͤrde, wenn man sein Betragen weise nennte. Er blieb bis an seinen Tod bei vollkommnem Verstande, so daß er alle Veraͤnderungen, welche diese Krankheit bei ihm machte, genau bemerkte und beschrieb. Nachdem diese Krankheit nehmlich einige Tage gedauert hatte, bekam er auf einmal konvulsivische Zuckungen, wovon er sagte, daß dieser Zustand gar nicht so schlimm waͤre wie er zu seyn schiene, und wie er sich denselben selbst sonst gedacht haͤtte. Er haͤtte noch nie in seinem Leben einen solchen Zufall gehabt, aber er koͤnnte nun mit Wahrheit sagen, daß er jetzt auch nicht die mindeste Empfindung noch Bewußtseyn dabei gehabt habe. Dieser Zufall war ihm unterdessen ein sicheres Merkmal seines herannahenden Todes, und ohne die geringste Furcht vor denselben zu bezeigen, ordnete er nun bis auf die kleinsten Umstaͤnde sein Begraͤbniß an. Etwas nach diesen Zuckungen sagte er: es waͤre ihm, als ob er bestaͤndig laͤuten, und dabei wie in einer Kirche, singen hoͤre; einen Tag spaͤter, da es doch ein recht heller Tag war, daß es ihm vorkaͤme, als ob es recht truͤbe und dunkel Wetter waͤre; einige Stunden vor seinem Tode aber, daß ihm alle Gegenstaͤnde in die Ferne zuruͤckzugehen schienen. Waͤhrend seiner Krankheit aber las er, so lange es ihm moͤglich war, noch immer in den gedachten

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/96>, abgerufen am 29.03.2024.