Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Klügste wäre nun wohl für ihn gewesen, für sich zu bleiben, und sich an niemand zu kehren.

Seines zarten Gewissens wegen war ihm dies aber nicht möglich, denn das eine däuchte ihm sowohl gefährlich als das andre.

Sein Gewissen überzeugte ihn jedoch, daß er es niemals übel gemeint habe, und auch noch nicht übel meine, und wenn er daher gefehlt hätte, solches aus Jrrthum geschehen wäre, und wenn er auch jetzt wieder fehlen sollte, solches gleichfalls bloß aus Jrrthum geschehen würde, und also sehr verzeihlich seyn müsse. Daher wählte er lieber den Weg, noch ferner zu prüfen und zu forschen, als etwas anzunehmen, wovon er noch nicht gewiß war, ob es das einzige Wahre sey, das er suchte. --

Während diesem Prüfen und Forschen verstrichen nun wiederum einige Jahre, während welcher Zeit es ihm noch nicht möglich war, in Ansehung seiner häuslichen Umstände eine Verbesserung zu bewirken, hauptsächlich aus der Ursache, weil seine Frau fast beständig krank war.

Nun aber starb dieselbe, und da er nach den Lehren der Mystik sich vorher immer über dergleichen Vorfälle gänzlich hinwegzusetzen gesucht hatte, und es ihm auch wirklich möglich gewesen war, so, daß man ihn für einen unempfindlichen hartherzigen Menschen hielt; so war es jetzt um desto auffallender, daß er bei dem Tode, und auch dem Begräbnisse derselben, herzlich weinte, und überhaupt be-


Das Kluͤgste waͤre nun wohl fuͤr ihn gewesen, fuͤr sich zu bleiben, und sich an niemand zu kehren.

Seines zarten Gewissens wegen war ihm dies aber nicht moͤglich, denn das eine daͤuchte ihm sowohl gefaͤhrlich als das andre.

Sein Gewissen uͤberzeugte ihn jedoch, daß er es niemals uͤbel gemeint habe, und auch noch nicht uͤbel meine, und wenn er daher gefehlt haͤtte, solches aus Jrrthum geschehen waͤre, und wenn er auch jetzt wieder fehlen sollte, solches gleichfalls bloß aus Jrrthum geschehen wuͤrde, und also sehr verzeihlich seyn muͤsse. Daher waͤhlte er lieber den Weg, noch ferner zu pruͤfen und zu forschen, als etwas anzunehmen, wovon er noch nicht gewiß war, ob es das einzige Wahre sey, das er suchte. —

Waͤhrend diesem Pruͤfen und Forschen verstrichen nun wiederum einige Jahre, waͤhrend welcher Zeit es ihm noch nicht moͤglich war, in Ansehung seiner haͤuslichen Umstaͤnde eine Verbesserung zu bewirken, hauptsaͤchlich aus der Ursache, weil seine Frau fast bestaͤndig krank war.

Nun aber starb dieselbe, und da er nach den Lehren der Mystik sich vorher immer uͤber dergleichen Vorfaͤlle gaͤnzlich hinwegzusetzen gesucht hatte, und es ihm auch wirklich moͤglich gewesen war, so, daß man ihn fuͤr einen unempfindlichen hartherzigen Menschen hielt; so war es jetzt um desto auffallender, daß er bei dem Tode, und auch dem Begraͤbnisse derselben, herzlich weinte, und uͤberhaupt be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0083" n="83"/><lb/>
            <p>Das Klu&#x0364;gste wa&#x0364;re nun wohl fu&#x0364;r ihn gewesen, fu&#x0364;r sich zu bleiben, und sich an                         niemand zu kehren.</p>
            <p>Seines zarten Gewissens wegen war ihm dies aber nicht mo&#x0364;glich, denn das eine                         da&#x0364;uchte ihm sowohl gefa&#x0364;hrlich als das andre. </p>
            <p>Sein Gewissen u&#x0364;berzeugte ihn jedoch, daß er es niemals u&#x0364;bel gemeint habe, und                         auch noch nicht u&#x0364;bel meine, und wenn er daher gefehlt ha&#x0364;tte, solches aus                         Jrrthum geschehen wa&#x0364;re, und wenn er auch jetzt wieder fehlen sollte, solches                         gleichfalls bloß aus Jrrthum geschehen wu&#x0364;rde, und also sehr verzeihlich seyn                         mu&#x0364;sse. Daher wa&#x0364;hlte er lieber den Weg, noch ferner zu pru&#x0364;fen und zu                         forschen, als etwas anzunehmen, wovon er noch nicht gewiß war, ob es das                         einzige Wahre sey, das er suchte. &#x2014; </p>
            <p>Wa&#x0364;hrend diesem Pru&#x0364;fen und Forschen verstrichen nun wiederum einige Jahre,                         wa&#x0364;hrend welcher Zeit es ihm noch nicht mo&#x0364;glich war, in Ansehung seiner                         ha&#x0364;uslichen Umsta&#x0364;nde eine Verbesserung zu bewirken, hauptsa&#x0364;chlich aus der                         Ursache, weil seine Frau fast besta&#x0364;ndig krank war. </p>
            <p>Nun aber starb dieselbe, und da er nach den Lehren der Mystik sich vorher                         immer u&#x0364;ber dergleichen Vorfa&#x0364;lle ga&#x0364;nzlich hinwegzusetzen gesucht hatte, und                         es ihm auch wirklich mo&#x0364;glich gewesen war, so, daß man ihn fu&#x0364;r einen                         unempfindlichen hartherzigen Menschen hielt; so war es jetzt um desto                         auffallender, daß er bei dem Tode, und auch dem Begra&#x0364;bnisse derselben,                         herzlich weinte, und u&#x0364;berhaupt be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0083] Das Kluͤgste waͤre nun wohl fuͤr ihn gewesen, fuͤr sich zu bleiben, und sich an niemand zu kehren. Seines zarten Gewissens wegen war ihm dies aber nicht moͤglich, denn das eine daͤuchte ihm sowohl gefaͤhrlich als das andre. Sein Gewissen uͤberzeugte ihn jedoch, daß er es niemals uͤbel gemeint habe, und auch noch nicht uͤbel meine, und wenn er daher gefehlt haͤtte, solches aus Jrrthum geschehen waͤre, und wenn er auch jetzt wieder fehlen sollte, solches gleichfalls bloß aus Jrrthum geschehen wuͤrde, und also sehr verzeihlich seyn muͤsse. Daher waͤhlte er lieber den Weg, noch ferner zu pruͤfen und zu forschen, als etwas anzunehmen, wovon er noch nicht gewiß war, ob es das einzige Wahre sey, das er suchte. — Waͤhrend diesem Pruͤfen und Forschen verstrichen nun wiederum einige Jahre, waͤhrend welcher Zeit es ihm noch nicht moͤglich war, in Ansehung seiner haͤuslichen Umstaͤnde eine Verbesserung zu bewirken, hauptsaͤchlich aus der Ursache, weil seine Frau fast bestaͤndig krank war. Nun aber starb dieselbe, und da er nach den Lehren der Mystik sich vorher immer uͤber dergleichen Vorfaͤlle gaͤnzlich hinwegzusetzen gesucht hatte, und es ihm auch wirklich moͤglich gewesen war, so, daß man ihn fuͤr einen unempfindlichen hartherzigen Menschen hielt; so war es jetzt um desto auffallender, daß er bei dem Tode, und auch dem Begraͤbnisse derselben, herzlich weinte, und uͤberhaupt be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/83
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/83>, abgerufen am 25.04.2024.