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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

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abwarten, bis ich sie nach und nach kennen lerne. Wenn ich aber auf einem Thurme stehe, so sehe ich dasjenige nebeneinander, was ich vorher nacheinander sehen mußte. Was wir die Folge der Dinge nennen, ist also bloß die Folge unserer Vorstellungen von diesen Dingen. Aber hierin giebt es doch wohl eine wirkliche Folge? Für einen eben so eingeschränkten Verstand, der sie eines nach dem andern betrachten muß wohl, aber nicht für einen vollkommnen der sie nebeneinander siehet.

Alles was künftig ist, wäre also wirklich schon da, nur für uns noch nicht.

So müßte auch unsere Vorstellung davon schon da seyn, das ist sie aber wirklich nicht, und jene Behauptung ist folglich ein Widerspruch. Unsere Vorstellung davon ist auch schon da. Wir müssen nur erst warten, bis sie an uns kömmt.

Aber wie ist es denn mit den Bewegungen? Wie kann der Mann, welcher ietzt noch hier steht, in diesem Augenblicke schon eine Meile weit entfernt seyn?

Wie kann auch der allumfaßendste Verstand mein Hierstehen und Dastehen nebeneinander stellen? Wo ich gestanden habe, stehe ich doch jetzt nicht mehr -- das wäre also aufs neue ein Widerspruch.

Wenn ich ein Feuerrad mache, oder einen Funken schnell umher drehe, so scheint er da zu seyn, wo er doch nicht ist, anstatt eines Punktes be-


abwarten, bis ich sie nach und nach kennen lerne. Wenn ich aber auf einem Thurme stehe, so sehe ich dasjenige nebeneinander, was ich vorher nacheinander sehen mußte. Was wir die Folge der Dinge nennen, ist also bloß die Folge unserer Vorstellungen von diesen Dingen. Aber hierin giebt es doch wohl eine wirkliche Folge? Fuͤr einen eben so eingeschraͤnkten Verstand, der sie eines nach dem andern betrachten muß wohl, aber nicht fuͤr einen vollkommnen der sie nebeneinander siehet.

Alles was kuͤnftig ist, waͤre also wirklich schon da, nur fuͤr uns noch nicht.

So muͤßte auch unsere Vorstellung davon schon da seyn, das ist sie aber wirklich nicht, und jene Behauptung ist folglich ein Widerspruch. Unsere Vorstellung davon ist auch schon da. Wir muͤssen nur erst warten, bis sie an uns koͤmmt.

Aber wie ist es denn mit den Bewegungen? Wie kann der Mann, welcher ietzt noch hier steht, in diesem Augenblicke schon eine Meile weit entfernt seyn?

Wie kann auch der allumfaßendste Verstand mein Hierstehen und Dastehen nebeneinander stellen? Wo ich gestanden habe, stehe ich doch jetzt nicht mehr — das waͤre also aufs neue ein Widerspruch.

Wenn ich ein Feuerrad mache, oder einen Funken schnell umher drehe, so scheint er da zu seyn, wo er doch nicht ist, anstatt eines Punktes be-

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[65/0065] abwarten, bis ich sie nach und nach kennen lerne. Wenn ich aber auf einem Thurme stehe, so sehe ich dasjenige nebeneinander, was ich vorher nacheinander sehen mußte. Was wir die Folge der Dinge nennen, ist also bloß die Folge unserer Vorstellungen von diesen Dingen. Aber hierin giebt es doch wohl eine wirkliche Folge? Fuͤr einen eben so eingeschraͤnkten Verstand, der sie eines nach dem andern betrachten muß wohl, aber nicht fuͤr einen vollkommnen der sie nebeneinander siehet. Alles was kuͤnftig ist, waͤre also wirklich schon da, nur fuͤr uns noch nicht. So muͤßte auch unsere Vorstellung davon schon da seyn, das ist sie aber wirklich nicht, und jene Behauptung ist folglich ein Widerspruch. Unsere Vorstellung davon ist auch schon da. Wir muͤssen nur erst warten, bis sie an uns koͤmmt. Aber wie ist es denn mit den Bewegungen? Wie kann der Mann, welcher ietzt noch hier steht, in diesem Augenblicke schon eine Meile weit entfernt seyn? Wie kann auch der allumfaßendste Verstand mein Hierstehen und Dastehen nebeneinander stellen? Wo ich gestanden habe, stehe ich doch jetzt nicht mehr — das waͤre also aufs neue ein Widerspruch. Wenn ich ein Feuerrad mache, oder einen Funken schnell umher drehe, so scheint er da zu seyn, wo er doch nicht ist, anstatt eines Punktes be-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/65>, abgerufen am 25.04.2024.