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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

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gen; man merkt außer sich mehrere Schalle, man ahmt sie nach mit dem Munde, und belegt die Dinge und Gegenstände mit dem Schalle zum Zeichen ihrer Benennung. Man giebt ähnlichen Dingen ähnliche Namen, und so wird allmälig eine bestimmte Sprachgewohnheit, die man Sprache nennt. Mit der Zeit merkt man, wie bei ähnlichen Dingen und Zufällen ein und eben dieselben Schalle gebraucht und verändert werden, und so entstehn nach und nach Regeln. Diese machen eine Wissenschaft der Sprache aus, und das ist die erste allgemeine natürliche Grammatik, die die Regeln anzeigt, nach welchen die Sprache zu beurtheilen und zu lernen ist.

Aus dieser Vorstellung folgt, daß nur eine Grundsprache existire, die allen Menschen gemein ist; so wie es nur eine Fähigkeit zu sprechen, einen menschlichen Verstand, und eine Beschaffenheit, einen Bau der Sprachorganen giebt. Vermöge dieser allgemeinen Grundsprache schreien bei der Geburt alle Kinder na. Durch diese allgemeine Grundsprache sagen alle Kinder tata und mama, ehe sie deutlich sich vorstellen können, was für Objekte sie einst mit den Schallen oder Silben bezeichnen. Allenthalben recken die Kinder ihre Hände aus nach diesen Vorwürfen, und es ist willkührlich, ob sie den Vater ta und die Mutter ma nennen, oder umgekehrt.



gen; man merkt außer sich mehrere Schalle, man ahmt sie nach mit dem Munde, und belegt die Dinge und Gegenstaͤnde mit dem Schalle zum Zeichen ihrer Benennung. Man giebt aͤhnlichen Dingen aͤhnliche Namen, und so wird allmaͤlig eine bestimmte Sprachgewohnheit, die man Sprache nennt. Mit der Zeit merkt man, wie bei aͤhnlichen Dingen und Zufaͤllen ein und eben dieselben Schalle gebraucht und veraͤndert werden, und so entstehn nach und nach Regeln. Diese machen eine Wissenschaft der Sprache aus, und das ist die erste allgemeine natuͤrliche Grammatik, die die Regeln anzeigt, nach welchen die Sprache zu beurtheilen und zu lernen ist.

Aus dieser Vorstellung folgt, daß nur eine Grundsprache existire, die allen Menschen gemein ist; so wie es nur eine Faͤhigkeit zu sprechen, einen menschlichen Verstand, und eine Beschaffenheit, einen Bau der Sprachorganen giebt. Vermoͤge dieser allgemeinen Grundsprache schreien bei der Geburt alle Kinder na. Durch diese allgemeine Grundsprache sagen alle Kinder tata und mama, ehe sie deutlich sich vorstellen koͤnnen, was fuͤr Objekte sie einst mit den Schallen oder Silben bezeichnen. Allenthalben recken die Kinder ihre Haͤnde aus nach diesen Vorwuͤrfen, und es ist willkuͤhrlich, ob sie den Vater ta und die Mutter ma nennen, oder umgekehrt.


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[56/0056] gen; man merkt außer sich mehrere Schalle, man ahmt sie nach mit dem Munde, und belegt die Dinge und Gegenstaͤnde mit dem Schalle zum Zeichen ihrer Benennung. Man giebt aͤhnlichen Dingen aͤhnliche Namen, und so wird allmaͤlig eine bestimmte Sprachgewohnheit, die man Sprache nennt. Mit der Zeit merkt man, wie bei aͤhnlichen Dingen und Zufaͤllen ein und eben dieselben Schalle gebraucht und veraͤndert werden, und so entstehn nach und nach Regeln. Diese machen eine Wissenschaft der Sprache aus, und das ist die erste allgemeine natuͤrliche Grammatik, die die Regeln anzeigt, nach welchen die Sprache zu beurtheilen und zu lernen ist. Aus dieser Vorstellung folgt, daß nur eine Grundsprache existire, die allen Menschen gemein ist; so wie es nur eine Faͤhigkeit zu sprechen, einen menschlichen Verstand, und eine Beschaffenheit, einen Bau der Sprachorganen giebt. Vermoͤge dieser allgemeinen Grundsprache schreien bei der Geburt alle Kinder na. Durch diese allgemeine Grundsprache sagen alle Kinder tata und mama, ehe sie deutlich sich vorstellen koͤnnen, was fuͤr Objekte sie einst mit den Schallen oder Silben bezeichnen. Allenthalben recken die Kinder ihre Haͤnde aus nach diesen Vorwuͤrfen, und es ist willkuͤhrlich, ob sie den Vater ta und die Mutter ma nennen, oder umgekehrt.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/56>, abgerufen am 29.03.2024.