Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


stand, sie machen daher einen ähnlichen Gebrauch davon. Dies heißt im Allgemeinen die Sprachfähigkeit. Sie wird aber nach verschiedenen Umständen so verschieden angewandt, daß daraus mancherlei Sprachen quellen, wie aus einem Strome die Flüsse. Darin harmoniren alle Sprachen der Erde: sie werden aus dem menschlichen Munde hervorgebracht auf ähnliche Art, in Rücksicht der Formirung der Schalle und Wörter. Darin disharmoniren alle Sprachen der Erde: ihre Bedeutung kann, insofern sie von Willkühr der Menschen abhängt, auf mancherlei Weise bestimmt und festgesetzt werden. Hieraus folgt nothwendig: daß der natürliche Bau der Sprache an sich einerlei ist, die verschiedne Anwendung aber verschieden, und also viele Sprachen erzeugt.

Das desto deutlicher zu verstehn, nehme ich eine Erläuterung aus der Mathematik, in welcher Rechenkunst und Feldmeßkunde die eigentlichen Grundwissenschaften sind. Jn jener haben wir die Zahlen und ihre Zeichen, die alle verschieden können angenommen werden, und doch im Grunde eine und eben diese Art des Zählens ausmachen. Jn dieser haben wir Linien, die auf so vielfache Art können zusammengesetzt werden; es bleibt aber immer im Grunde nur Eine Art der Zusammensetzung möglich. Obgleich die Zeichen der Zahlen und die Benennung der Linien nach jedes Menschen Willkühr können angenommen und bestimmt werden, so ge-


stand, sie machen daher einen aͤhnlichen Gebrauch davon. Dies heißt im Allgemeinen die Sprachfaͤhigkeit. Sie wird aber nach verschiedenen Umstaͤnden so verschieden angewandt, daß daraus mancherlei Sprachen quellen, wie aus einem Strome die Fluͤsse. Darin harmoniren alle Sprachen der Erde: sie werden aus dem menschlichen Munde hervorgebracht auf aͤhnliche Art, in Ruͤcksicht der Formirung der Schalle und Woͤrter. Darin disharmoniren alle Sprachen der Erde: ihre Bedeutung kann, insofern sie von Willkuͤhr der Menschen abhaͤngt, auf mancherlei Weise bestimmt und festgesetzt werden. Hieraus folgt nothwendig: daß der natuͤrliche Bau der Sprache an sich einerlei ist, die verschiedne Anwendung aber verschieden, und also viele Sprachen erzeugt.

Das desto deutlicher zu verstehn, nehme ich eine Erlaͤuterung aus der Mathematik, in welcher Rechenkunst und Feldmeßkunde die eigentlichen Grundwissenschaften sind. Jn jener haben wir die Zahlen und ihre Zeichen, die alle verschieden koͤnnen angenommen werden, und doch im Grunde eine und eben diese Art des Zaͤhlens ausmachen. Jn dieser haben wir Linien, die auf so vielfache Art koͤnnen zusammengesetzt werden; es bleibt aber immer im Grunde nur Eine Art der Zusammensetzung moͤglich. Obgleich die Zeichen der Zahlen und die Benennung der Linien nach jedes Menschen Willkuͤhr koͤnnen angenommen und bestimmt werden, so ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/>
stand, sie machen                         daher einen a&#x0364;hnlichen Gebrauch davon. Dies heißt im Allgemeinen die                         Sprachfa&#x0364;higkeit. Sie wird aber nach verschiedenen Umsta&#x0364;nden so verschieden                         angewandt, daß daraus mancherlei Sprachen quellen, wie aus einem Strome die                         Flu&#x0364;sse. Darin harmoniren alle Sprachen der Erde: sie werden aus dem                         menschlichen Munde hervorgebracht auf a&#x0364;hnliche Art, in Ru&#x0364;cksicht der                         Formirung der Schalle und Wo&#x0364;rter. Darin disharmoniren alle Sprachen der                         Erde: ihre Bedeutung kann, insofern sie von Willku&#x0364;hr der Menschen abha&#x0364;ngt,                         auf mancherlei Weise bestimmt und festgesetzt werden. Hieraus folgt                         nothwendig: daß der natu&#x0364;rliche Bau der Sprache an sich einerlei ist, die                         verschiedne Anwendung aber verschieden, und also viele Sprachen erzeugt. </p>
            <p>Das desto deutlicher zu verstehn, nehme ich eine Erla&#x0364;uterung aus der                         Mathematik, in welcher Rechenkunst und Feldmeßkunde die eigentlichen                         Grundwissenschaften sind. Jn jener haben wir die Zahlen und ihre Zeichen,                         die alle verschieden ko&#x0364;nnen angenommen werden, und doch im Grunde eine und                         eben diese Art des Za&#x0364;hlens ausmachen. Jn dieser haben wir Linien, die auf so                         vielfache Art ko&#x0364;nnen zusammengesetzt werden; es bleibt aber immer im Grunde                         nur Eine Art der Zusammensetzung mo&#x0364;glich. Obgleich die Zeichen der Zahlen                         und die Benennung der Linien nach jedes Menschen Willku&#x0364;hr ko&#x0364;nnen angenommen                         und bestimmt werden, so ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] stand, sie machen daher einen aͤhnlichen Gebrauch davon. Dies heißt im Allgemeinen die Sprachfaͤhigkeit. Sie wird aber nach verschiedenen Umstaͤnden so verschieden angewandt, daß daraus mancherlei Sprachen quellen, wie aus einem Strome die Fluͤsse. Darin harmoniren alle Sprachen der Erde: sie werden aus dem menschlichen Munde hervorgebracht auf aͤhnliche Art, in Ruͤcksicht der Formirung der Schalle und Woͤrter. Darin disharmoniren alle Sprachen der Erde: ihre Bedeutung kann, insofern sie von Willkuͤhr der Menschen abhaͤngt, auf mancherlei Weise bestimmt und festgesetzt werden. Hieraus folgt nothwendig: daß der natuͤrliche Bau der Sprache an sich einerlei ist, die verschiedne Anwendung aber verschieden, und also viele Sprachen erzeugt. Das desto deutlicher zu verstehn, nehme ich eine Erlaͤuterung aus der Mathematik, in welcher Rechenkunst und Feldmeßkunde die eigentlichen Grundwissenschaften sind. Jn jener haben wir die Zahlen und ihre Zeichen, die alle verschieden koͤnnen angenommen werden, und doch im Grunde eine und eben diese Art des Zaͤhlens ausmachen. Jn dieser haben wir Linien, die auf so vielfache Art koͤnnen zusammengesetzt werden; es bleibt aber immer im Grunde nur Eine Art der Zusammensetzung moͤglich. Obgleich die Zeichen der Zahlen und die Benennung der Linien nach jedes Menschen Willkuͤhr koͤnnen angenommen und bestimmt werden, so ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/54>, abgerufen am 28.03.2024.