Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Vom menschlichen Denken a priori.

Die Erfahrungsseelenkunde hat uns schon zu vielen nützlichen Entdeckungen Anlaß gegeben, und wir können noch sehr große Vortheile daraus ziehen, wenn wir uns dadurch unser Denken a priori bekannt machen, und mehrere Helle zur Aussicht in die Ferne, nach allgemeingeltenden Gesetzen im Denken dazu erlangen. Denn die Erfahrung allein kann uns in Wissenschaften nichts Zuverläßiges liefern. Sie zeigt zwar an was da ist, aber nicht das Warum? Folglich kann sie auf apodiktische Gewißheit keinen Anspruch machen.

Eigentlich ist die Erfahrung ein Verstandesfabrikat, daß er a priori formirt, mithin wird sie a posteriori producirt, und es gehören dazu mancherlei Jngredienzien, Funktionen und Mittel, ehe sie nach und nach synthetisch gemodelt, gedacht, und endlich brauchbar werden kann. Beispiele versinnlichen die Begriffe, und ich will hier einen kurzen Versuch dieser Art machen.

Unser Vorstellungsvermögen ist das allerwichtigste -- ja wie soll ichs nun nennen: Element oder Werkzeug? -- Talent und Mittel zur Erfahrungsproduktion. Dies Vermögen geht vor allen


3. Vom menschlichen Denken a priori.

Die Erfahrungsseelenkunde hat uns schon zu vielen nuͤtzlichen Entdeckungen Anlaß gegeben, und wir koͤnnen noch sehr große Vortheile daraus ziehen, wenn wir uns dadurch unser Denken a priori bekannt machen, und mehrere Helle zur Aussicht in die Ferne, nach allgemeingeltenden Gesetzen im Denken dazu erlangen. Denn die Erfahrung allein kann uns in Wissenschaften nichts Zuverlaͤßiges liefern. Sie zeigt zwar an was da ist, aber nicht das Warum? Folglich kann sie auf apodiktische Gewißheit keinen Anspruch machen.

Eigentlich ist die Erfahrung ein Verstandesfabrikat, daß er a priori formirt, mithin wird sie a posteriori producirt, und es gehoͤren dazu mancherlei Jngredienzien, Funktionen und Mittel, ehe sie nach und nach synthetisch gemodelt, gedacht, und endlich brauchbar werden kann. Beispiele versinnlichen die Begriffe, und ich will hier einen kurzen Versuch dieser Art machen.

Unser Vorstellungsvermoͤgen ist das allerwichtigste — ja wie soll ichs nun nennen: Element oder Werkzeug? — Talent und Mittel zur Erfahrungsproduktion. Dies Vermoͤgen geht vor allen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0031" n="31"/><lb/><lb/>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <head>3.                 Vom menschlichen Denken <hi rendition="#aq">a priori.</hi> </head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref23"><note type="editorial"/>Heinicke, Samuel</persName>
              </bibl>
            </note>
            <p>Die Erfahrungsseelenkunde hat uns schon zu vielen                         nu&#x0364;tzlichen Entdeckungen Anlaß gegeben, und wir ko&#x0364;nnen noch sehr große                         Vortheile daraus ziehen, wenn wir uns dadurch unser Denken <hi rendition="#aq">a priori</hi> bekannt machen, und mehrere Helle zur                         Aussicht in die Ferne, nach allgemeingeltenden Gesetzen im Denken dazu                         erlangen. Denn die Erfahrung allein kann uns in Wissenschaften nichts                         Zuverla&#x0364;ßiges liefern. Sie zeigt zwar an was da ist, aber nicht das Warum?                         Folglich kann sie auf apodiktische Gewißheit keinen Anspruch machen. </p>
            <p>Eigentlich ist die Erfahrung ein Verstandesfabrikat, daß er <hi rendition="#aq">a priori</hi> formirt, mithin wird sie <hi rendition="#aq">a posteriori</hi> producirt, und es geho&#x0364;ren dazu                         mancherlei Jngredienzien, Funktionen und Mittel, ehe sie nach und nach                         synthetisch gemodelt, gedacht, und endlich brauchbar werden kann. Beispiele                         versinnlichen die Begriffe, und ich will hier einen kurzen Versuch dieser                         Art machen.</p>
            <p>Unser Vorstellungsvermo&#x0364;gen ist das allerwichtigste &#x2014; ja wie soll ichs nun                         nennen: Element oder Werkzeug? &#x2014; Talent und Mittel zur Erfahrungsproduktion.                         Dies Vermo&#x0364;gen geht vor allen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0031] 3. Vom menschlichen Denken a priori. Die Erfahrungsseelenkunde hat uns schon zu vielen nuͤtzlichen Entdeckungen Anlaß gegeben, und wir koͤnnen noch sehr große Vortheile daraus ziehen, wenn wir uns dadurch unser Denken a priori bekannt machen, und mehrere Helle zur Aussicht in die Ferne, nach allgemeingeltenden Gesetzen im Denken dazu erlangen. Denn die Erfahrung allein kann uns in Wissenschaften nichts Zuverlaͤßiges liefern. Sie zeigt zwar an was da ist, aber nicht das Warum? Folglich kann sie auf apodiktische Gewißheit keinen Anspruch machen. Eigentlich ist die Erfahrung ein Verstandesfabrikat, daß er a priori formirt, mithin wird sie a posteriori producirt, und es gehoͤren dazu mancherlei Jngredienzien, Funktionen und Mittel, ehe sie nach und nach synthetisch gemodelt, gedacht, und endlich brauchbar werden kann. Beispiele versinnlichen die Begriffe, und ich will hier einen kurzen Versuch dieser Art machen. Unser Vorstellungsvermoͤgen ist das allerwichtigste — ja wie soll ichs nun nennen: Element oder Werkzeug? — Talent und Mittel zur Erfahrungsproduktion. Dies Vermoͤgen geht vor allen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/31
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/31>, abgerufen am 29.03.2024.