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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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heit. Angebohren ist keinem Menschen das Stehlen, Huren, Saufen u.s.w., weil jedes Laster da erst Laster wird, wo des Menschen moralischer Character zu wachsen anfängt, wo er freywillig wählen, sich entschließen und bestimmen kann -- wo er wählen und frey handeln kann, da erst kann die gefaßte unedle Neigung Laster werden. Der sechs bis neunjährige kleine Dieb wird aus guten Gründen wenn ich so reden mag, mit der Zeit ein incorrigibler Dieb, wie nachfolgende Geschichte darthun wird. Wird das Kind besonders aus niederem Stande, dem es gar zu oft an guter Erziehung und Anführung fehlt, mit den Jahren ein Lasterhafter, in welcher Rüksicht es sey und zwar ein solcher, der auf keine Weise zu bessern ist, so sind seine ursprünglich unschuldigen Neigungen, Grundtriebe, offenbar nicht directe Schuld, wohl aber kann schlechte Erziehung, böses Exempel und andere Umstände dem Kinde mit der Zeit überwiegenden Hang zu unedlen Neigungen beybringen, die durch seine mehr oder minder heftige Affecten und Temperament angeflammt herrschend werden. Dadurch wird dann gleichsam die ganze Seelenbegehrungskraft verstimmet, verdorben und endlich die ihr natürlichste und mächtigste Kraft, wornach der Mensch denn handeln muß; er kann dann nicht anders als schlecht begehren und handeln, weil seine Seele dazu nun die meiste geübte Kraft hat.



heit. Angebohren ist keinem Menschen das Stehlen, Huren, Saufen u.s.w., weil jedes Laster da erst Laster wird, wo des Menschen moralischer Character zu wachsen anfaͤngt, wo er freywillig waͤhlen, sich entschließen und bestimmen kann — wo er waͤhlen und frey handeln kann, da erst kann die gefaßte unedle Neigung Laster werden. Der sechs bis neunjaͤhrige kleine Dieb wird aus guten Gruͤnden wenn ich so reden mag, mit der Zeit ein incorrigibler Dieb, wie nachfolgende Geschichte darthun wird. Wird das Kind besonders aus niederem Stande, dem es gar zu oft an guter Erziehung und Anfuͤhrung fehlt, mit den Jahren ein Lasterhafter, in welcher Ruͤksicht es sey und zwar ein solcher, der auf keine Weise zu bessern ist, so sind seine urspruͤnglich unschuldigen Neigungen, Grundtriebe, offenbar nicht directe Schuld, wohl aber kann schlechte Erziehung, boͤses Exempel und andere Umstaͤnde dem Kinde mit der Zeit uͤberwiegenden Hang zu unedlen Neigungen beybringen, die durch seine mehr oder minder heftige Affecten und Temperament angeflammt herrschend werden. Dadurch wird dann gleichsam die ganze Seelenbegehrungskraft verstimmet, verdorben und endlich die ihr natuͤrlichste und maͤchtigste Kraft, wornach der Mensch denn handeln muß; er kann dann nicht anders als schlecht begehren und handeln, weil seine Seele dazu nun die meiste geuͤbte Kraft hat.


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[43/0043] heit. Angebohren ist keinem Menschen das Stehlen, Huren, Saufen u.s.w., weil jedes Laster da erst Laster wird, wo des Menschen moralischer Character zu wachsen anfaͤngt, wo er freywillig waͤhlen, sich entschließen und bestimmen kann — wo er waͤhlen und frey handeln kann, da erst kann die gefaßte unedle Neigung Laster werden. Der sechs bis neunjaͤhrige kleine Dieb wird aus guten Gruͤnden wenn ich so reden mag, mit der Zeit ein incorrigibler Dieb, wie nachfolgende Geschichte darthun wird. Wird das Kind besonders aus niederem Stande, dem es gar zu oft an guter Erziehung und Anfuͤhrung fehlt, mit den Jahren ein Lasterhafter, in welcher Ruͤksicht es sey und zwar ein solcher, der auf keine Weise zu bessern ist, so sind seine urspruͤnglich unschuldigen Neigungen, Grundtriebe, offenbar nicht directe Schuld, wohl aber kann schlechte Erziehung, boͤses Exempel und andere Umstaͤnde dem Kinde mit der Zeit uͤberwiegenden Hang zu unedlen Neigungen beybringen, die durch seine mehr oder minder heftige Affecten und Temperament angeflammt herrschend werden. Dadurch wird dann gleichsam die ganze Seelenbegehrungskraft verstimmet, verdorben und endlich die ihr natuͤrlichste und maͤchtigste Kraft, wornach der Mensch denn handeln muß; er kann dann nicht anders als schlecht begehren und handeln, weil seine Seele dazu nun die meiste geuͤbte Kraft hat.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/43>, abgerufen am 16.04.2024.