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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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Herz, Lasterhaftigkeit, Fertigkeit böser Neigungen, muß also doch wohl durch eine verkehrte Richtung der Seelenkräfte, also durch eigene Schuld des Menschen, durch Vernachläßigung, schlechte Erziehung und äußere Umstände erzeuget werden. Wenigstens fehlt mirs an aller philosophischer Ueberzeugung, daß ein Mensch durch die ursprüngliche Beschaffenheit seiner Natur zu gewissen unedlen Neigungen oder Lasterhaftigkeit gezwungen wäre.

Es heißt: jeder Dieb ist mit dem Strick gebohren, er kann das Stehlen nicht laßen, er muß stehlen, er weiß selbst nicht wenn er stiehlt; eine Erscheinung dieser Art findet sich in der Erfahrungsseelenkunde B. II. St. 1. S. 18. dasselbe muß von Säufern auch gesagt werden können, da mancher bis in seinen Tod säuft, und ebenfalls incorrigible ist, ob er gleich nicht so früh säuft als jener stahl. Von beiden sind mir während meiner siebenjährigen Amtsführung mehrere Exempel bekannt geworden. Jch glaube lieber, daß eigentlich lasterhafte incorrigible Menschen durch eine frühzeitig verstimmte irre geleitete Seelenkraft krank an der Seele sind, und daß ihr unüberwindlich gewordener Hang zu einem gewissen Laster die übrigen Seelenkräfte ganz überwieget, und die entgegenstehende gute Neigung unterdrücket. Ein beständiges Abweichen vom rechten Wege läßt doch wohl ein gewisses Kopfübel vermuthen -- wer immer fehl siehet, muß ein schielendes oder schwaches Auge haben, beides ist Augenkrank-


Herz, Lasterhaftigkeit, Fertigkeit boͤser Neigungen, muß also doch wohl durch eine verkehrte Richtung der Seelenkraͤfte, also durch eigene Schuld des Menschen, durch Vernachlaͤßigung, schlechte Erziehung und aͤußere Umstaͤnde erzeuget werden. Wenigstens fehlt mirs an aller philosophischer Ueberzeugung, daß ein Mensch durch die urspruͤngliche Beschaffenheit seiner Natur zu gewissen unedlen Neigungen oder Lasterhaftigkeit gezwungen waͤre.

Es heißt: jeder Dieb ist mit dem Strick gebohren, er kann das Stehlen nicht laßen, er muß stehlen, er weiß selbst nicht wenn er stiehlt; eine Erscheinung dieser Art findet sich in der Erfahrungsseelenkunde B. II. St. 1. S. 18. dasselbe muß von Saͤufern auch gesagt werden koͤnnen, da mancher bis in seinen Tod saͤuft, und ebenfalls incorrigible ist, ob er gleich nicht so fruͤh saͤuft als jener stahl. Von beiden sind mir waͤhrend meiner siebenjaͤhrigen Amtsfuͤhrung mehrere Exempel bekannt geworden. Jch glaube lieber, daß eigentlich lasterhafte incorrigible Menschen durch eine fruͤhzeitig verstimmte irre geleitete Seelenkraft krank an der Seele sind, und daß ihr unuͤberwindlich gewordener Hang zu einem gewissen Laster die uͤbrigen Seelenkraͤfte ganz uͤberwieget, und die entgegenstehende gute Neigung unterdruͤcket. Ein bestaͤndiges Abweichen vom rechten Wege laͤßt doch wohl ein gewisses Kopfuͤbel vermuthen — wer immer fehl siehet, muß ein schielendes oder schwaches Auge haben, beides ist Augenkrank-

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[42/0042] Herz, Lasterhaftigkeit, Fertigkeit boͤser Neigungen, muß also doch wohl durch eine verkehrte Richtung der Seelenkraͤfte, also durch eigene Schuld des Menschen, durch Vernachlaͤßigung, schlechte Erziehung und aͤußere Umstaͤnde erzeuget werden. Wenigstens fehlt mirs an aller philosophischer Ueberzeugung, daß ein Mensch durch die urspruͤngliche Beschaffenheit seiner Natur zu gewissen unedlen Neigungen oder Lasterhaftigkeit gezwungen waͤre. Es heißt: jeder Dieb ist mit dem Strick gebohren, er kann das Stehlen nicht laßen, er muß stehlen, er weiß selbst nicht wenn er stiehlt; eine Erscheinung dieser Art findet sich in der Erfahrungsseelenkunde B. II. St. 1. S. 18. dasselbe muß von Saͤufern auch gesagt werden koͤnnen, da mancher bis in seinen Tod saͤuft, und ebenfalls incorrigible ist, ob er gleich nicht so fruͤh saͤuft als jener stahl. Von beiden sind mir waͤhrend meiner siebenjaͤhrigen Amtsfuͤhrung mehrere Exempel bekannt geworden. Jch glaube lieber, daß eigentlich lasterhafte incorrigible Menschen durch eine fruͤhzeitig verstimmte irre geleitete Seelenkraft krank an der Seele sind, und daß ihr unuͤberwindlich gewordener Hang zu einem gewissen Laster die uͤbrigen Seelenkraͤfte ganz uͤberwieget, und die entgegenstehende gute Neigung unterdruͤcket. Ein bestaͤndiges Abweichen vom rechten Wege laͤßt doch wohl ein gewisses Kopfuͤbel vermuthen — wer immer fehl siehet, muß ein schielendes oder schwaches Auge haben, beides ist Augenkrank-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/42>, abgerufen am 28.03.2024.