Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


der Säufer oft nur dem einen Laster, im höchsten Grad ergeben, wodurch seine Seele alle Brauchbarkeit verliehret. Es giebt Menschen, deren ganzes Leben eine Krankheit zu nennen ist, die in diesem durchaus zerrütteten Zustande ganz unfähig sind, die natürlichen Kräfte ihres Körpers ihrer Anlage nach zu gebrauchen; so finden sich auf ähnliche Art Seelenkranke, deren ganzes Leben, (die ersten Jugendjahre ausgenommen) eine Seelenkrankheit genannt werden kann, weil ihre Seele in einem so unordentlichen Zustande ist, in welchem sie aller guten Thätigkeit, Aeusserungen, Wirkungen, gewissermaßen ihrer ganzen Brauchbarkeit beraubt wird, und ihren erschlaften, verlähmten Kräften die gehörige Richtung nicht geben kann. Der Seelenkranke, der Lasterhafte, der sich seit Jahren gewissen Lastern ganz überlassen hat, fühlt sich wie gezwungen, seiner Seelenbegehrungskraft immer freien Lauf zu lassen, sie ist herrschend auf Gegenstände gerichtet, von denen sie gleichsam unwiderstehlich angezogen wird, und der die übrigen Seelenkräfte die Waage nicht mehr halten können, weil sie einmal das völlige Uebergewicht erlangt hat. Eine solche Seele ist ja wohl recht krank, weil ihre übrigen gesunden Kräfte der weit stärker gewordenen ungesunden (verkehrt gerichteten) erschlaften Kraft unterliegen, und dadurch die Seele krank wird. Der Körper wird krank, wenn sein Blut und seine Nerven leiden, wovon der Grund in der veränderten


der Saͤufer oft nur dem einen Laster, im hoͤchsten Grad ergeben, wodurch seine Seele alle Brauchbarkeit verliehret. Es giebt Menschen, deren ganzes Leben eine Krankheit zu nennen ist, die in diesem durchaus zerruͤtteten Zustande ganz unfaͤhig sind, die natuͤrlichen Kraͤfte ihres Koͤrpers ihrer Anlage nach zu gebrauchen; so finden sich auf aͤhnliche Art Seelenkranke, deren ganzes Leben, (die ersten Jugendjahre ausgenommen) eine Seelenkrankheit genannt werden kann, weil ihre Seele in einem so unordentlichen Zustande ist, in welchem sie aller guten Thaͤtigkeit, Aeusserungen, Wirkungen, gewissermaßen ihrer ganzen Brauchbarkeit beraubt wird, und ihren erschlaften, verlaͤhmten Kraͤften die gehoͤrige Richtung nicht geben kann. Der Seelenkranke, der Lasterhafte, der sich seit Jahren gewissen Lastern ganz uͤberlassen hat, fuͤhlt sich wie gezwungen, seiner Seelenbegehrungskraft immer freien Lauf zu lassen, sie ist herrschend auf Gegenstaͤnde gerichtet, von denen sie gleichsam unwiderstehlich angezogen wird, und der die uͤbrigen Seelenkraͤfte die Waage nicht mehr halten koͤnnen, weil sie einmal das voͤllige Uebergewicht erlangt hat. Eine solche Seele ist ja wohl recht krank, weil ihre uͤbrigen gesunden Kraͤfte der weit staͤrker gewordenen ungesunden (verkehrt gerichteten) erschlaften Kraft unterliegen, und dadurch die Seele krank wird. Der Koͤrper wird krank, wenn sein Blut und seine Nerven leiden, wovon der Grund in der veraͤnderten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0030" n="30"/><lb/>
der Sa&#x0364;ufer oft nur dem einen Laster, im                         ho&#x0364;chsten Grad ergeben, wodurch seine Seele alle Brauchbarkeit verliehret. Es                         giebt Menschen, deren ganzes Leben eine Krankheit zu nennen ist, die in                         diesem durchaus zerru&#x0364;tteten Zustande ganz unfa&#x0364;hig sind, die natu&#x0364;rlichen                         Kra&#x0364;fte ihres Ko&#x0364;rpers ihrer Anlage nach zu gebrauchen; so finden sich auf                         a&#x0364;hnliche Art Seelenkranke, deren ganzes Leben, (die ersten Jugendjahre                         ausgenommen) eine Seelenkrankheit genannt werden kann, weil ihre Seele in                         einem so unordentlichen Zustande ist, in welchem sie aller guten Tha&#x0364;tigkeit,                         Aeusserungen, Wirkungen, gewissermaßen ihrer ganzen Brauchbarkeit beraubt                         wird, und ihren erschlaften, verla&#x0364;hmten Kra&#x0364;ften die geho&#x0364;rige Richtung nicht                         geben kann. Der Seelenkranke, der Lasterhafte, der sich seit Jahren gewissen                         Lastern ganz u&#x0364;berlassen hat, fu&#x0364;hlt sich wie gezwungen, seiner                         Seelenbegehrungskraft immer freien Lauf zu lassen, sie ist herrschend auf                         Gegensta&#x0364;nde gerichtet, von denen sie gleichsam unwiderstehlich angezogen                         wird, und der die u&#x0364;brigen Seelenkra&#x0364;fte die Waage nicht mehr halten ko&#x0364;nnen,                         weil sie einmal das vo&#x0364;llige Uebergewicht erlangt hat. Eine solche Seele ist                         ja wohl recht krank, weil ihre u&#x0364;brigen gesunden Kra&#x0364;fte der weit sta&#x0364;rker                         gewordenen ungesunden (verkehrt gerichteten) erschlaften Kraft unterliegen,                         und dadurch die Seele krank wird. Der Ko&#x0364;rper wird krank, wenn sein Blut und                         seine Nerven leiden, wovon der Grund in der vera&#x0364;nderten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0030] der Saͤufer oft nur dem einen Laster, im hoͤchsten Grad ergeben, wodurch seine Seele alle Brauchbarkeit verliehret. Es giebt Menschen, deren ganzes Leben eine Krankheit zu nennen ist, die in diesem durchaus zerruͤtteten Zustande ganz unfaͤhig sind, die natuͤrlichen Kraͤfte ihres Koͤrpers ihrer Anlage nach zu gebrauchen; so finden sich auf aͤhnliche Art Seelenkranke, deren ganzes Leben, (die ersten Jugendjahre ausgenommen) eine Seelenkrankheit genannt werden kann, weil ihre Seele in einem so unordentlichen Zustande ist, in welchem sie aller guten Thaͤtigkeit, Aeusserungen, Wirkungen, gewissermaßen ihrer ganzen Brauchbarkeit beraubt wird, und ihren erschlaften, verlaͤhmten Kraͤften die gehoͤrige Richtung nicht geben kann. Der Seelenkranke, der Lasterhafte, der sich seit Jahren gewissen Lastern ganz uͤberlassen hat, fuͤhlt sich wie gezwungen, seiner Seelenbegehrungskraft immer freien Lauf zu lassen, sie ist herrschend auf Gegenstaͤnde gerichtet, von denen sie gleichsam unwiderstehlich angezogen wird, und der die uͤbrigen Seelenkraͤfte die Waage nicht mehr halten koͤnnen, weil sie einmal das voͤllige Uebergewicht erlangt hat. Eine solche Seele ist ja wohl recht krank, weil ihre uͤbrigen gesunden Kraͤfte der weit staͤrker gewordenen ungesunden (verkehrt gerichteten) erschlaften Kraft unterliegen, und dadurch die Seele krank wird. Der Koͤrper wird krank, wenn sein Blut und seine Nerven leiden, wovon der Grund in der veraͤnderten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/30
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/30>, abgerufen am 24.04.2024.