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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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ziehen.
Trägt sich hingegen darauf irgend ein Unglük von ohngefähr zu; so wird denn gleich die dunkle unangenehme Empfindung darauf applicirt, -- sie mag sich dazu passen oder nicht, und der Zusammenhang zwischen dem Vorhersehen und der Begebenheit mag noch so ungewiß seyn.

Jch habe manchmahl darüber nachgedacht, warum die meisten Menschen so gern das Ansehn haben wollen, -- etwas vorhersehen zu können, oder etwas vorhergesehen zu haben; und ich habe den Grund davon gemeiniglich in einer furchtsamen Gemüthsart, die sich so gern schwarze Bilder schaft, und in der Begierde zum Außerordentlichen gefunden. Jene ist vermöge ihrer Natur mißtrauisch gegen Facta und Menschen, und transferirt ihre Einbildungen gar leicht auf würkliche Objecte, weil ihr gleichsam das Vermögen fehlt, die Distanz zwischen dem imaginirten Bilde, und einer würklichen Sache zu messen, sondern beides mit einander verwechselt. -- Diese, nehmlich die Begierde zum Außerordentlichen, welche psychologisch mit der Furchtsamkeit des Gemüths zusammenhängt, reizt die Jmagination viel zu sehr, als daß bei ihren Phantasien die Vernunft immer zu Rathe gezogen würde. Jene, die Jmagination, bewürkt durch das Außerordentliche ein gewisses Schaudern, das uns nicht unangenehm ist, weil es uns mit hundert neuen Bildern beschäftigt, und unsern in der Jugend empfangenen Begriffen vom Wunderbaren


ziehen.
Traͤgt sich hingegen darauf irgend ein Ungluͤk von ohngefaͤhr zu; so wird denn gleich die dunkle unangenehme Empfindung darauf applicirt, — sie mag sich dazu passen oder nicht, und der Zusammenhang zwischen dem Vorhersehen und der Begebenheit mag noch so ungewiß seyn.

Jch habe manchmahl daruͤber nachgedacht, warum die meisten Menschen so gern das Ansehn haben wollen, — etwas vorhersehen zu koͤnnen, oder etwas vorhergesehen zu haben; und ich habe den Grund davon gemeiniglich in einer furchtsamen Gemuͤthsart, die sich so gern schwarze Bilder schaft, und in der Begierde zum Außerordentlichen gefunden. Jene ist vermoͤge ihrer Natur mißtrauisch gegen Facta und Menschen, und transferirt ihre Einbildungen gar leicht auf wuͤrkliche Objecte, weil ihr gleichsam das Vermoͤgen fehlt, die Distanz zwischen dem imaginirten Bilde, und einer wuͤrklichen Sache zu messen, sondern beides mit einander verwechselt. — Diese, nehmlich die Begierde zum Außerordentlichen, welche psychologisch mit der Furchtsamkeit des Gemuͤths zusammenhaͤngt, reizt die Jmagination viel zu sehr, als daß bei ihren Phantasien die Vernunft immer zu Rathe gezogen wuͤrde. Jene, die Jmagination, bewuͤrkt durch das Außerordentliche ein gewisses Schaudern, das uns nicht unangenehm ist, weil es uns mit hundert neuen Bildern beschaͤftigt, und unsern in der Jugend empfangenen Begriffen vom Wunderbaren

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[18/0018] ziehen. Traͤgt sich hingegen darauf irgend ein Ungluͤk von ohngefaͤhr zu; so wird denn gleich die dunkle unangenehme Empfindung darauf applicirt, — sie mag sich dazu passen oder nicht, und der Zusammenhang zwischen dem Vorhersehen und der Begebenheit mag noch so ungewiß seyn. Jch habe manchmahl daruͤber nachgedacht, warum die meisten Menschen so gern das Ansehn haben wollen, — etwas vorhersehen zu koͤnnen, oder etwas vorhergesehen zu haben; und ich habe den Grund davon gemeiniglich in einer furchtsamen Gemuͤthsart, die sich so gern schwarze Bilder schaft, und in der Begierde zum Außerordentlichen gefunden. Jene ist vermoͤge ihrer Natur mißtrauisch gegen Facta und Menschen, und transferirt ihre Einbildungen gar leicht auf wuͤrkliche Objecte, weil ihr gleichsam das Vermoͤgen fehlt, die Distanz zwischen dem imaginirten Bilde, und einer wuͤrklichen Sache zu messen, sondern beides mit einander verwechselt. — Diese, nehmlich die Begierde zum Außerordentlichen, welche psychologisch mit der Furchtsamkeit des Gemuͤths zusammenhaͤngt, reizt die Jmagination viel zu sehr, als daß bei ihren Phantasien die Vernunft immer zu Rathe gezogen wuͤrde. Jene, die Jmagination, bewuͤrkt durch das Außerordentliche ein gewisses Schaudern, das uns nicht unangenehm ist, weil es uns mit hundert neuen Bildern beschaͤftigt, und unsern in der Jugend empfangenen Begriffen vom Wunderbaren

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/18>, abgerufen am 19.04.2024.