Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


Familie an dem Tage nicht auszufahren, oder auszugehen, weil ihm bange sey, es möchte einem von ihnen ein Unglük begegnen; -- der Traum bleibt jezt unerfüllt. Aber im Anfange des Octobers 1770 wird seine Gemahlin von einer Prinzessin glüklich entbunden. Am 9. October fühlt sie sich so munter, und gestärkt, daß sie das erstemahl aus dem Wochenbette aufsteht, um eine Stunde im Sopha zu sitzen. Um ihrem Gemahl eine Freude dadurch zu machen, läßt sie ihn rufen. -- Freudig eilt er die Treppe herunter, -- aber -- indem er in ihr Zimmer tritt, sieht er sie -- sterben. Jn der Minute, da sie ihm die frohe Nachricht geben ließ, hatte sie der Schlag getroffen. -- Genau ein Jahr nachher wurde also erst der Traum erfüllt. --

Also um ein ganzes Jahr hatte diesmahl die Ahndung getrogen! -- Es lassen sich sehr viele physicalische und andre Umstände denken, warum uns bisweilen ein ängstliches Bild während des Traums vorschwebt, das wir sonderlich bei zu vielem Blut und einem furchtsamen Temperament für eine Vorbedeutung zu halten geneigt sind, -- so wie wir manche dunkle Jdeen aus Träumen mit in den Zustand des Wachens herübernehmen, die uns auf ganze Tage verstimmen und in die finstersten Launen versetzen können.

Dergleichen dumpfe Empfindungen können aber nicht als etwas Vorbedeutendes angesehen werden, weil wir nicht einmahl wissen, worauf sie sich be-


Familie an dem Tage nicht auszufahren, oder auszugehen, weil ihm bange sey, es moͤchte einem von ihnen ein Ungluͤk begegnen; — der Traum bleibt jezt unerfuͤllt. Aber im Anfange des Octobers 1770 wird seine Gemahlin von einer Prinzessin gluͤklich entbunden. Am 9. October fuͤhlt sie sich so munter, und gestaͤrkt, daß sie das erstemahl aus dem Wochenbette aufsteht, um eine Stunde im Sopha zu sitzen. Um ihrem Gemahl eine Freude dadurch zu machen, laͤßt sie ihn rufen. — Freudig eilt er die Treppe herunter, — aber — indem er in ihr Zimmer tritt, sieht er sie — sterben. Jn der Minute, da sie ihm die frohe Nachricht geben ließ, hatte sie der Schlag getroffen. — Genau ein Jahr nachher wurde also erst der Traum erfuͤllt. —

Also um ein ganzes Jahr hatte diesmahl die Ahndung getrogen! — Es lassen sich sehr viele physicalische und andre Umstaͤnde denken, warum uns bisweilen ein aͤngstliches Bild waͤhrend des Traums vorschwebt, das wir sonderlich bei zu vielem Blut und einem furchtsamen Temperament fuͤr eine Vorbedeutung zu halten geneigt sind, — so wie wir manche dunkle Jdeen aus Traͤumen mit in den Zustand des Wachens heruͤbernehmen, die uns auf ganze Tage verstimmen und in die finstersten Launen versetzen koͤnnen.

Dergleichen dumpfe Empfindungen koͤnnen aber nicht als etwas Vorbedeutendes angesehen werden, weil wir nicht einmahl wissen, worauf sie sich be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0017" n="17"/><lb/>
Familie an dem Tage nicht auszufahren, oder                         auszugehen, weil ihm bange sey, es mo&#x0364;chte einem von ihnen ein Unglu&#x0364;k                         begegnen; &#x2014; der Traum bleibt jezt unerfu&#x0364;llt. Aber im Anfange des Octobers                         1770 wird seine Gemahlin von einer Prinzessin glu&#x0364;klich entbunden. Am 9.                         October fu&#x0364;hlt sie sich so munter, und gesta&#x0364;rkt, daß sie das erstemahl aus                         dem Wochenbette aufsteht, um eine Stunde im Sopha zu sitzen. Um ihrem Gemahl                         eine Freude dadurch zu machen, la&#x0364;ßt sie ihn rufen. &#x2014; Freudig eilt er die                         Treppe herunter, &#x2014; aber &#x2014; indem er in ihr Zimmer tritt, sieht er sie &#x2014;                         sterben. Jn der Minute, da sie ihm die frohe Nachricht geben ließ, hatte sie                         der Schlag getroffen. &#x2014; Genau ein Jahr nachher wurde also erst der Traum                         erfu&#x0364;llt. &#x2014;</p>
          <p>Also um ein <hi rendition="#b">ganzes</hi> Jahr hatte diesmahl die Ahndung                         getrogen! &#x2014; Es lassen sich sehr viele physicalische und andre Umsta&#x0364;nde                         denken, warum uns bisweilen ein a&#x0364;ngstliches Bild wa&#x0364;hrend des Traums                         vorschwebt, das wir sonderlich bei zu vielem Blut und einem furchtsamen                         Temperament fu&#x0364;r eine Vorbedeutung zu halten geneigt sind, &#x2014; so wie wir                         manche <hi rendition="#b">dunkle </hi> Jdeen aus Tra&#x0364;umen mit in den Zustand                         des Wachens heru&#x0364;bernehmen, die uns auf ganze Tage <hi rendition="#b">verstimmen</hi> und in die finstersten Launen versetzen ko&#x0364;nnen.</p>
          <p>Dergleichen dumpfe Empfindungen ko&#x0364;nnen aber nicht als etwas Vorbedeutendes                         angesehen werden, weil wir nicht einmahl wissen, <hi rendition="#b">worauf                             sie sich be-<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0017] Familie an dem Tage nicht auszufahren, oder auszugehen, weil ihm bange sey, es moͤchte einem von ihnen ein Ungluͤk begegnen; — der Traum bleibt jezt unerfuͤllt. Aber im Anfange des Octobers 1770 wird seine Gemahlin von einer Prinzessin gluͤklich entbunden. Am 9. October fuͤhlt sie sich so munter, und gestaͤrkt, daß sie das erstemahl aus dem Wochenbette aufsteht, um eine Stunde im Sopha zu sitzen. Um ihrem Gemahl eine Freude dadurch zu machen, laͤßt sie ihn rufen. — Freudig eilt er die Treppe herunter, — aber — indem er in ihr Zimmer tritt, sieht er sie — sterben. Jn der Minute, da sie ihm die frohe Nachricht geben ließ, hatte sie der Schlag getroffen. — Genau ein Jahr nachher wurde also erst der Traum erfuͤllt. — Also um ein ganzes Jahr hatte diesmahl die Ahndung getrogen! — Es lassen sich sehr viele physicalische und andre Umstaͤnde denken, warum uns bisweilen ein aͤngstliches Bild waͤhrend des Traums vorschwebt, das wir sonderlich bei zu vielem Blut und einem furchtsamen Temperament fuͤr eine Vorbedeutung zu halten geneigt sind, — so wie wir manche dunkle Jdeen aus Traͤumen mit in den Zustand des Wachens heruͤbernehmen, die uns auf ganze Tage verstimmen und in die finstersten Launen versetzen koͤnnen. Dergleichen dumpfe Empfindungen koͤnnen aber nicht als etwas Vorbedeutendes angesehen werden, weil wir nicht einmahl wissen, worauf sie sich be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/17
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/17>, abgerufen am 16.04.2024.