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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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"Jn dieser drückenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigem Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen und ins Reine bringen würde. Er folgte hier unsichern Hofnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelten. Mich dünkt, daß ihn die Begierde, größer zu scheinen, auch wohl größer zu werden, als er war, und noch einmal wieder einen verhältnismäßigen Character zu gewinnen, eben so sehr zu dem Schritte, den er hier that, verleitet haben möge, als der Drang häuslichen Mangels. Er entschloß sich, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Bürger und verkaufte sein Haus an seinem Geburtsorte an seinen Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, täuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie ab-


»Jn dieser druͤckenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigem Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen und ins Reine bringen wuͤrde. Er folgte hier unsichern Hofnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelten. Mich duͤnkt, daß ihn die Begierde, groͤßer zu scheinen, auch wohl groͤßer zu werden, als er war, und noch einmal wieder einen verhaͤltnismaͤßigen Character zu gewinnen, eben so sehr zu dem Schritte, den er hier that, verleitet haben moͤge, als der Drang haͤuslichen Mangels. Er entschloß sich, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Buͤrger und verkaufte sein Haus an seinem Geburtsorte an seinen Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, taͤuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie ab-

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[38/0040] »Jn dieser druͤckenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigem Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen und ins Reine bringen wuͤrde. Er folgte hier unsichern Hofnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelten. Mich duͤnkt, daß ihn die Begierde, groͤßer zu scheinen, auch wohl groͤßer zu werden, als er war, und noch einmal wieder einen verhaͤltnismaͤßigen Character zu gewinnen, eben so sehr zu dem Schritte, den er hier that, verleitet haben moͤge, als der Drang haͤuslichen Mangels. Er entschloß sich, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Buͤrger und verkaufte sein Haus an seinem Geburtsorte an seinen Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, taͤuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie ab-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/40>, abgerufen am 29.03.2024.