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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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viel folgern, und so sehr sie auch eine gewisse uns bisher unbekannte Vereinigung der Organisation mit der Denkkraft sichtbar darthun, so sicher folgt auch davon, daß die Seele, die die sich durchkreuzenden Vorstellungen von sich selber unterscheiden, und über ihre Unrichtigkeit urtheilen konnte, eine eigene von der Organisation unabhängige Selbstthätigkeit besitze. Das Bewußtseyn ihrer selbst läßt sich durch keine Organisation, durch keinen Einfluß der Organisation völlig erklären. Hier erscheint der Mensch als ein geistiges Wesen auf einmal über alle Materie erhaben; so fein wir sie auch subtilisiren und organisiren mögen. -- Es ist natürlich, daß sich die Vorstellungen der Seele, durch eine Zerrüttung der Organisation, vornämlich im Gehirn, verwirren können; allein die Vorstellung dieser verworrenen Vorstellungen zeigt von einer ganz eigenen innern Denkkraft der menschlichen Natur, und der Beweis, welchen die Materialisten für ihr System aus jenen Vorstellungen eines verworrenen Gehirns ziehen könnten, ist eigentlich mehr gegen, als für sie.


Der vortrefliche Aufsatz des Herrn Hofrath Marcus Herz über seine eigene Krankheit, S. 44. u.s.w. enthält für den Arzt und Psychologen die interessantesten Winke zur Bereicherung ihrer Wissenschaft, und ich wünschte nichts mehr, als daß von philosophischen Aerzten mehr dergleichen Krank-


viel folgern, und so sehr sie auch eine gewisse uns bisher unbekannte Vereinigung der Organisation mit der Denkkraft sichtbar darthun, so sicher folgt auch davon, daß die Seele, die die sich durchkreuzenden Vorstellungen von sich selber unterscheiden, und uͤber ihre Unrichtigkeit urtheilen konnte, eine eigene von der Organisation unabhaͤngige Selbstthaͤtigkeit besitze. Das Bewußtseyn ihrer selbst laͤßt sich durch keine Organisation, durch keinen Einfluß der Organisation voͤllig erklaͤren. Hier erscheint der Mensch als ein geistiges Wesen auf einmal uͤber alle Materie erhaben; so fein wir sie auch subtilisiren und organisiren moͤgen. — Es ist natuͤrlich, daß sich die Vorstellungen der Seele, durch eine Zerruͤttung der Organisation, vornaͤmlich im Gehirn, verwirren koͤnnen; allein die Vorstellung dieser verworrenen Vorstellungen zeigt von einer ganz eigenen innern Denkkraft der menschlichen Natur, und der Beweis, welchen die Materialisten fuͤr ihr System aus jenen Vorstellungen eines verworrenen Gehirns ziehen koͤnnten, ist eigentlich mehr gegen, als fuͤr sie.


Der vortrefliche Aufsatz des Herrn Hofrath Marcus Herz uͤber seine eigene Krankheit, S. 44. u.s.w. enthaͤlt fuͤr den Arzt und Psychologen die interessantesten Winke zur Bereicherung ihrer Wissenschaft, und ich wuͤnschte nichts mehr, als daß von philosophischen Aerzten mehr dergleichen Krank-

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[8/0008] viel folgern, und so sehr sie auch eine gewisse uns bisher unbekannte Vereinigung der Organisation mit der Denkkraft sichtbar darthun, so sicher folgt auch davon, daß die Seele, die die sich durchkreuzenden Vorstellungen von sich selber unterscheiden, und uͤber ihre Unrichtigkeit urtheilen konnte, eine eigene von der Organisation unabhaͤngige Selbstthaͤtigkeit besitze. Das Bewußtseyn ihrer selbst laͤßt sich durch keine Organisation, durch keinen Einfluß der Organisation voͤllig erklaͤren. Hier erscheint der Mensch als ein geistiges Wesen auf einmal uͤber alle Materie erhaben; so fein wir sie auch subtilisiren und organisiren moͤgen. — Es ist natuͤrlich, daß sich die Vorstellungen der Seele, durch eine Zerruͤttung der Organisation, vornaͤmlich im Gehirn, verwirren koͤnnen; allein die Vorstellung dieser verworrenen Vorstellungen zeigt von einer ganz eigenen innern Denkkraft der menschlichen Natur, und der Beweis, welchen die Materialisten fuͤr ihr System aus jenen Vorstellungen eines verworrenen Gehirns ziehen koͤnnten, ist eigentlich mehr gegen, als fuͤr sie. Der vortrefliche Aufsatz des Herrn Hofrath Marcus Herz uͤber seine eigene Krankheit, S. 44. u.s.w. enthaͤlt fuͤr den Arzt und Psychologen die interessantesten Winke zur Bereicherung ihrer Wissenschaft, und ich wuͤnschte nichts mehr, als daß von philosophischen Aerzten mehr dergleichen Krank-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/8>, abgerufen am 29.03.2024.