Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


Stunden einen Brief von ihrem Gatten bekommen hätte. Allein alles Zureden half bey ihr nichts, sie blieb einmal dabey, daß ihr Unglück ausgemacht und ihr Gemahl nicht mehr sey. Jhre Mutter blieb an ihrem Bette sitzen, und sahe mit Vergnügen, daß sie durch einen heftigen Strom von Thränen entkräftet wieder einschlief; aber es dauerte nicht lange. Sie hatte kaum eine Viertelstunde geschlafen, als sie durch den nehmlichen Traum wieder erweckt ward, und nun gar nicht mehr zweifelte, daß ihr Traum übernatürlich sey. Sie wurde alsbald von einem heftigen Fieber mit einer Verrückung des Gehirns überfallen, und schwebte vierzehn Tage lang zwischen Tod und Leben. Unter der Zeit bekam man wirklich die traurige Nachricht, daß ihr Gemahl unterwegs getödtet sey. Die Mutter, welche für das Leben ihrer Tochter besorgt war, gebrauchte alle Vorsicht, den tödtlichen Streich, den man ihr versetzen mußte, aufzuschieben. Man ließ die Hand ihres Mannes nachmachen, und brachte es dahin, daß sie sich anfangs beruhigte. Als man hierauf ihre Gesundheit wiederhergestellt sahe, so trug man ihrem Beichtvater auf, ihr den erlittenen Verlust zu hinterbringen, und ohnerachtet der Bewegungsgründe, die er ihr vorstellte, sich dem göttlichen Willen zu ergeben, zitterte man lange Zeit für ihr Leben.

Es waren schon vier Monate verflossen, seitdem sie Witwe war, als sie gegen den Anfang des


Stunden einen Brief von ihrem Gatten bekommen haͤtte. Allein alles Zureden half bey ihr nichts, sie blieb einmal dabey, daß ihr Ungluͤck ausgemacht und ihr Gemahl nicht mehr sey. Jhre Mutter blieb an ihrem Bette sitzen, und sahe mit Vergnuͤgen, daß sie durch einen heftigen Strom von Thraͤnen entkraͤftet wieder einschlief; aber es dauerte nicht lange. Sie hatte kaum eine Viertelstunde geschlafen, als sie durch den nehmlichen Traum wieder erweckt ward, und nun gar nicht mehr zweifelte, daß ihr Traum uͤbernatuͤrlich sey. Sie wurde alsbald von einem heftigen Fieber mit einer Verruͤckung des Gehirns uͤberfallen, und schwebte vierzehn Tage lang zwischen Tod und Leben. Unter der Zeit bekam man wirklich die traurige Nachricht, daß ihr Gemahl unterwegs getoͤdtet sey. Die Mutter, welche fuͤr das Leben ihrer Tochter besorgt war, gebrauchte alle Vorsicht, den toͤdtlichen Streich, den man ihr versetzen mußte, aufzuschieben. Man ließ die Hand ihres Mannes nachmachen, und brachte es dahin, daß sie sich anfangs beruhigte. Als man hierauf ihre Gesundheit wiederhergestellt sahe, so trug man ihrem Beichtvater auf, ihr den erlittenen Verlust zu hinterbringen, und ohnerachtet der Bewegungsgruͤnde, die er ihr vorstellte, sich dem goͤttlichen Willen zu ergeben, zitterte man lange Zeit fuͤr ihr Leben.

Es waren schon vier Monate verflossen, seitdem sie Witwe war, als sie gegen den Anfang des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0020" n="20"/><lb/>
Stunden einen Brief von ihrem Gatten bekommen ha&#x0364;tte. Allein alles                   Zureden half bey ihr nichts, sie blieb einmal dabey, daß ihr Unglu&#x0364;ck ausgemacht                   und ihr Gemahl nicht mehr sey. Jhre Mutter blieb an ihrem Bette sitzen, und sahe                   mit Vergnu&#x0364;gen, daß sie durch einen heftigen Strom von Thra&#x0364;nen entkra&#x0364;ftet wieder                   einschlief; aber es dauerte nicht lange. Sie hatte kaum eine Viertelstunde                   geschlafen, als sie durch den nehmlichen Traum wieder erweckt ward, und nun gar                   nicht mehr zweifelte, daß ihr Traum u&#x0364;bernatu&#x0364;rlich sey. Sie wurde alsbald von einem                   heftigen Fieber mit einer Verru&#x0364;ckung des Gehirns u&#x0364;berfallen, und schwebte vierzehn                   Tage lang zwischen Tod und Leben. Unter der Zeit bekam man wirklich die traurige                   Nachricht, daß ihr Gemahl unterwegs geto&#x0364;dtet sey. Die Mutter, welche fu&#x0364;r das Leben                   ihrer Tochter besorgt war, gebrauchte alle Vorsicht, den to&#x0364;dtlichen Streich, den                   man ihr versetzen mußte, aufzuschieben. Man ließ die Hand ihres Mannes nachmachen,                   und brachte es dahin, daß sie sich anfangs beruhigte. Als man hierauf ihre                   Gesundheit wiederhergestellt sahe, so trug man ihrem Beichtvater auf, ihr den                   erlittenen Verlust zu hinterbringen, und ohnerachtet der Bewegungsgru&#x0364;nde, die er                   ihr vorstellte, sich dem go&#x0364;ttlichen Willen zu ergeben, zitterte man lange Zeit fu&#x0364;r                   ihr Leben.</p>
            <p>Es waren schon vier Monate verflossen, seitdem sie Witwe war, als sie gegen den                   Anfang des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0020] Stunden einen Brief von ihrem Gatten bekommen haͤtte. Allein alles Zureden half bey ihr nichts, sie blieb einmal dabey, daß ihr Ungluͤck ausgemacht und ihr Gemahl nicht mehr sey. Jhre Mutter blieb an ihrem Bette sitzen, und sahe mit Vergnuͤgen, daß sie durch einen heftigen Strom von Thraͤnen entkraͤftet wieder einschlief; aber es dauerte nicht lange. Sie hatte kaum eine Viertelstunde geschlafen, als sie durch den nehmlichen Traum wieder erweckt ward, und nun gar nicht mehr zweifelte, daß ihr Traum uͤbernatuͤrlich sey. Sie wurde alsbald von einem heftigen Fieber mit einer Verruͤckung des Gehirns uͤberfallen, und schwebte vierzehn Tage lang zwischen Tod und Leben. Unter der Zeit bekam man wirklich die traurige Nachricht, daß ihr Gemahl unterwegs getoͤdtet sey. Die Mutter, welche fuͤr das Leben ihrer Tochter besorgt war, gebrauchte alle Vorsicht, den toͤdtlichen Streich, den man ihr versetzen mußte, aufzuschieben. Man ließ die Hand ihres Mannes nachmachen, und brachte es dahin, daß sie sich anfangs beruhigte. Als man hierauf ihre Gesundheit wiederhergestellt sahe, so trug man ihrem Beichtvater auf, ihr den erlittenen Verlust zu hinterbringen, und ohnerachtet der Bewegungsgruͤnde, die er ihr vorstellte, sich dem goͤttlichen Willen zu ergeben, zitterte man lange Zeit fuͤr ihr Leben. Es waren schon vier Monate verflossen, seitdem sie Witwe war, als sie gegen den Anfang des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/20
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/20>, abgerufen am 19.04.2024.