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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

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3. Gewalt der Liebe.

Folgende tragische Geschichte giebt uns ein neues Beispiel, wie äusserst schädlich und gefährlich eine verstohlene Liebe für junge Leute werden kann; aber auch ein Beispiel, wie behutsam Eltern verfahren müssen, um ihre Kinder nicht zu Verheirathungen zu zwingen, wogegen dieser ihr Herz spricht.

N-- ein alter rechtschaffener Landgeistlicher in W--, einem sächsischen Dörfchen, ohnweit M--, hatte viele Jahre hindurch mit seiner Gattinn und einzigen Tochter die stillen Freuden des höchsten häuslichen Glücks genossen, eines Glücks, welches immer häufiger in den ruhigen Hütten des Landmannes, als in den Häusern der verwöhnten Städter zu wohnen pflegt. Sich selbst genug, und mit den rauschenden Vergnügungen der großen Welt unbekannt, vertrieben sich Eltern und Tochter die Tage ihres Lebens auf die angenehmste Art. Die letztere besorgte mit ihrer Mutter gemeinschaftlich die Haushaltung, und beide waren gleich eifrig und zärtlich bemüht, dem guten Hausvater die etwas schweren Lasten seines Amts durch jede Art der zuvorkommenden Theilnehmung und Liebe zu erleichtern. Lorchen, so hieß die Tochter, war im eigentlichen Verstande das Kind seines Herzens, er war


3. Gewalt der Liebe.

Folgende tragische Geschichte giebt uns ein neues Beispiel, wie aͤusserst schaͤdlich und gefaͤhrlich eine verstohlene Liebe fuͤr junge Leute werden kann; aber auch ein Beispiel, wie behutsam Eltern verfahren muͤssen, um ihre Kinder nicht zu Verheirathungen zu zwingen, wogegen dieser ihr Herz spricht.

N— ein alter rechtschaffener Landgeistlicher in W—, einem saͤchsischen Doͤrfchen, ohnweit M—, hatte viele Jahre hindurch mit seiner Gattinn und einzigen Tochter die stillen Freuden des hoͤchsten haͤuslichen Gluͤcks genossen, eines Gluͤcks, welches immer haͤufiger in den ruhigen Huͤtten des Landmannes, als in den Haͤusern der verwoͤhnten Staͤdter zu wohnen pflegt. Sich selbst genug, und mit den rauschenden Vergnuͤgungen der großen Welt unbekannt, vertrieben sich Eltern und Tochter die Tage ihres Lebens auf die angenehmste Art. Die letztere besorgte mit ihrer Mutter gemeinschaftlich die Haushaltung, und beide waren gleich eifrig und zaͤrtlich bemuͤht, dem guten Hausvater die etwas schweren Lasten seines Amts durch jede Art der zuvorkommenden Theilnehmung und Liebe zu erleichtern. Lorchen, so hieß die Tochter, war im eigentlichen Verstande das Kind seines Herzens, er war

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[47/0047] 3. Gewalt der Liebe. Folgende tragische Geschichte giebt uns ein neues Beispiel, wie aͤusserst schaͤdlich und gefaͤhrlich eine verstohlene Liebe fuͤr junge Leute werden kann; aber auch ein Beispiel, wie behutsam Eltern verfahren muͤssen, um ihre Kinder nicht zu Verheirathungen zu zwingen, wogegen dieser ihr Herz spricht. N— ein alter rechtschaffener Landgeistlicher in W—, einem saͤchsischen Doͤrfchen, ohnweit M—, hatte viele Jahre hindurch mit seiner Gattinn und einzigen Tochter die stillen Freuden des hoͤchsten haͤuslichen Gluͤcks genossen, eines Gluͤcks, welches immer haͤufiger in den ruhigen Huͤtten des Landmannes, als in den Haͤusern der verwoͤhnten Staͤdter zu wohnen pflegt. Sich selbst genug, und mit den rauschenden Vergnuͤgungen der großen Welt unbekannt, vertrieben sich Eltern und Tochter die Tage ihres Lebens auf die angenehmste Art. Die letztere besorgte mit ihrer Mutter gemeinschaftlich die Haushaltung, und beide waren gleich eifrig und zaͤrtlich bemuͤht, dem guten Hausvater die etwas schweren Lasten seines Amts durch jede Art der zuvorkommenden Theilnehmung und Liebe zu erleichtern. Lorchen, so hieß die Tochter, war im eigentlichen Verstande das Kind seines Herzens, er war

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/47>, abgerufen am 29.03.2024.