Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


(Es ist bekannt, daß die Tollheit so wie ein Fieber nervenschwache Leute anzustecken im Stande ist.)

Die Leiden, welche der unglückliche Berend von 1715--1720 an Leib und Seele ausgestanden hat, sind erstaunlich, die kleinste Veranlassung war im Stande ihn Tagelang mit den schrecklichsten Bildern der Phantasie zu foltern; so wurde er einmahl aufs heftigste von einer Todesfurcht angegriffen, weil er seinen Huth hatte ins Wasser fallen lassen, welches er für eine Vorbedeutung seines nahen Endes hielt. -- Doch er mag seinen unglücklichen Zustand selbst schildern.

"Der größte Sturm meiner Anfechtung kam 14 Tage vor Ostern (1717) über mich, welcher einer der größten in meinem Leben gewesen. Freitags vor Judica war ein Bußtag, und Sonntags darauf sollte ich das Capitel von dem Propheten Elia in der Vesper erklären, da er in der Höhle vor Furcht sich verkrochen. Gott bescherte mir bei dem Meditiren darauf allerhand schöne Porismata und Gedanken, so daß ich mich recht auf dieses Capitel freuete, und Gott bath, daß er doch seinen Seegen zu dessen Erklärung geben wolle. Sonntags nach Tische meditirte ich noch ein wenig auf die Predigt, bis um 2 Uhr, da der Gottesdienst angehet. Jch weiß nicht mehr, ob ich zu Hause, ehe ich ausging, vergessen noch einmahl auf den Pot de Chambre zu gehen, oder ob bei dem langen Liede: Jst Gott für mich, so trete etc. sich schon so viel Wasser wiederum


(Es ist bekannt, daß die Tollheit so wie ein Fieber nervenschwache Leute anzustecken im Stande ist.)

Die Leiden, welche der ungluͤckliche Berend von 1715—1720 an Leib und Seele ausgestanden hat, sind erstaunlich, die kleinste Veranlassung war im Stande ihn Tagelang mit den schrecklichsten Bildern der Phantasie zu foltern; so wurde er einmahl aufs heftigste von einer Todesfurcht angegriffen, weil er seinen Huth hatte ins Wasser fallen lassen, welches er fuͤr eine Vorbedeutung seines nahen Endes hielt. — Doch er mag seinen ungluͤcklichen Zustand selbst schildern.

»Der groͤßte Sturm meiner Anfechtung kam 14 Tage vor Ostern (1717) uͤber mich, welcher einer der groͤßten in meinem Leben gewesen. Freitags vor Judica war ein Bußtag, und Sonntags darauf sollte ich das Capitel von dem Propheten Elia in der Vesper erklaͤren, da er in der Hoͤhle vor Furcht sich verkrochen. Gott bescherte mir bei dem Meditiren darauf allerhand schoͤne Porismata und Gedanken, so daß ich mich recht auf dieses Capitel freuete, und Gott bath, daß er doch seinen Seegen zu dessen Erklaͤrung geben wolle. Sonntags nach Tische meditirte ich noch ein wenig auf die Predigt, bis um 2 Uhr, da der Gottesdienst angehet. Jch weiß nicht mehr, ob ich zu Hause, ehe ich ausging, vergessen noch einmahl auf den Pot de Chambre zu gehen, oder ob bei dem langen Liede: Jst Gott fuͤr mich, so trete etc. sich schon so viel Wasser wiederum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0023" n="23"/><lb/>
(Es ist                   bekannt, daß die Tollheit so wie ein Fieber nervenschwache Leute anzustecken im                   Stande ist.)</p>
            <p>Die Leiden, welche der unglu&#x0364;ckliche Berend von 1715&#x2014;1720 an Leib und Seele                   ausgestanden hat, sind erstaunlich, die kleinste Veranlassung war im Stande ihn                   Tagelang mit den schrecklichsten Bildern der Phantasie zu foltern; so wurde er                   einmahl aufs heftigste von einer Todesfurcht angegriffen, weil er seinen Huth                   hatte ins Wasser fallen lassen, welches er fu&#x0364;r eine Vorbedeutung seines nahen                   Endes hielt. &#x2014; Doch er mag seinen unglu&#x0364;cklichen Zustand selbst schildern.</p>
            <p>»Der gro&#x0364;ßte Sturm meiner Anfechtung kam 14 Tage vor Ostern (1717) u&#x0364;ber mich,                   welcher einer der gro&#x0364;ßten in meinem Leben gewesen. Freitags vor Judica war ein                   Bußtag, und Sonntags darauf sollte ich das Capitel von dem Propheten Elia in der                   Vesper erkla&#x0364;ren, da er in der Ho&#x0364;hle vor Furcht sich verkrochen. Gott bescherte mir                   bei dem Meditiren darauf allerhand scho&#x0364;ne Porismata und Gedanken, so daß ich mich                   recht auf dieses Capitel freuete, und Gott bath, daß er doch seinen Seegen zu                   dessen Erkla&#x0364;rung geben wolle. Sonntags nach Tische meditirte ich noch ein wenig                   auf die Predigt, bis um 2 Uhr, da der Gottesdienst angehet. Jch weiß nicht mehr,                   ob ich zu Hause, ehe ich ausging, vergessen noch einmahl auf den Pot de Chambre zu                   gehen, oder ob bei dem langen Liede: Jst Gott fu&#x0364;r mich, so trete etc. sich schon                   so viel Wasser wiederum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0023] (Es ist bekannt, daß die Tollheit so wie ein Fieber nervenschwache Leute anzustecken im Stande ist.) Die Leiden, welche der ungluͤckliche Berend von 1715—1720 an Leib und Seele ausgestanden hat, sind erstaunlich, die kleinste Veranlassung war im Stande ihn Tagelang mit den schrecklichsten Bildern der Phantasie zu foltern; so wurde er einmahl aufs heftigste von einer Todesfurcht angegriffen, weil er seinen Huth hatte ins Wasser fallen lassen, welches er fuͤr eine Vorbedeutung seines nahen Endes hielt. — Doch er mag seinen ungluͤcklichen Zustand selbst schildern. »Der groͤßte Sturm meiner Anfechtung kam 14 Tage vor Ostern (1717) uͤber mich, welcher einer der groͤßten in meinem Leben gewesen. Freitags vor Judica war ein Bußtag, und Sonntags darauf sollte ich das Capitel von dem Propheten Elia in der Vesper erklaͤren, da er in der Hoͤhle vor Furcht sich verkrochen. Gott bescherte mir bei dem Meditiren darauf allerhand schoͤne Porismata und Gedanken, so daß ich mich recht auf dieses Capitel freuete, und Gott bath, daß er doch seinen Seegen zu dessen Erklaͤrung geben wolle. Sonntags nach Tische meditirte ich noch ein wenig auf die Predigt, bis um 2 Uhr, da der Gottesdienst angehet. Jch weiß nicht mehr, ob ich zu Hause, ehe ich ausging, vergessen noch einmahl auf den Pot de Chambre zu gehen, oder ob bei dem langen Liede: Jst Gott fuͤr mich, so trete etc. sich schon so viel Wasser wiederum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/23
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/23>, abgerufen am 20.04.2024.