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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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gegangen sind. Es tragen sich Dinge in der Welt oft auf die sonderbarste Art zu; stimmen so genau in Absicht des Orts und der Zeit überein; scheinen so natürlich in einander gegründet zu seyn, - daß man darauf schwören sollte, daß sie in einander gegründet wären, ob sies gleich nicht sind. So kann die menschliche Seele sich ein gewisses Unglück vorher deutlich vorgestellt und vermöge dieser Vorstellung geahndet sieben hundert und mehrere mahle ein anderes Unglück vorhergesehen haben, - und doch ist der strenge Denker noch lange nicht berechtigt zu glauben, daß die Ahndung sich auf ein würkliches Vorhersehungsvermögen der Seele gründe. - -

Wenn man nun alles dieß zusammennimmt, (alle diese Umstände bei einer jeden Ahndung untersuchen könnte oder wollte,) wenn man ferner bedenkt, daß nicht nur zu sehr vielen Ahndungen unwahre Jdeen und äußere Lagen hinzugedichtet werden; sondern daß auch die menschliche Seele oft unwillkürlich zu solchen Erdichtungen verführet wird; bedenkt, daß sie oft aus vorhergegangenen Vermuthungsideen, die sie wieder vergessen hat, Schlusfolgen zieht, oder zog, wovon sie selbst nicht mehr recht weis, wie sie entstanden sind, und wenn man überhaupt bedenkt, daß ein Ahndungsvermögen der Seele, das sich nicht auf eine physische Art erklären läßt, etwas Unnatür-


gegangen sind. Es tragen sich Dinge in der Welt oft auf die sonderbarste Art zu; stimmen so genau in Absicht des Orts und der Zeit uͤberein; scheinen so natuͤrlich in einander gegruͤndet zu seyn, – daß man darauf schwoͤren sollte, daß sie in einander gegruͤndet waͤren, ob sies gleich nicht sind. So kann die menschliche Seele sich ein gewisses Ungluͤck vorher deutlich vorgestellt und vermoͤge dieser Vorstellung geahndet sieben hundert und mehrere mahle ein anderes Ungluͤck vorhergesehen haben, – und doch ist der strenge Denker noch lange nicht berechtigt zu glauben, daß die Ahndung sich auf ein wuͤrkliches Vorhersehungsvermoͤgen der Seele gruͤnde. – –

Wenn man nun alles dieß zusammennimmt, (alle diese Umstaͤnde bei einer jeden Ahndung untersuchen koͤnnte oder wollte,) wenn man ferner bedenkt, daß nicht nur zu sehr vielen Ahndungen unwahre Jdeen und aͤußere Lagen hinzugedichtet werden; sondern daß auch die menschliche Seele oft unwillkuͤrlich zu solchen Erdichtungen verfuͤhret wird; bedenkt, daß sie oft aus vorhergegangenen Vermuthungsideen, die sie wieder vergessen hat, Schlusfolgen zieht, oder zog, wovon sie selbst nicht mehr recht weis, wie sie entstanden sind, und wenn man uͤberhaupt bedenkt, daß ein Ahndungsvermoͤgen der Seele, das sich nicht auf eine physische Art erklaͤren laͤßt, etwas Unnatuͤr-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/9>, abgerufen am 24.04.2024.