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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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Jn der Seele des Taubstummen muß es daher weit unruhiger und lebhafter als in unsrer Seele seyn. Er kann seine Jdeen von den Handlungen nicht eigentlich fixiren -- wenn sie angeregt werden, so müssen sie einander unwillkührlich anstoßen und sich wechselseitig in Bewegung setzen. Denn von den Handlungen existiren in der Seele des Taubstummen keine Zeichen, sondern die Sache selbst, die vollständigen Bilder -- die einzelne Handlung eines Subjekts, wie z.B. das Pulsfühlen, kann wohl, aus allen übrigen herausgehoben, zur Bezeichnung des Subjektes dienen, aber was soll aus der Handlung des Pulsfühlens selbst einzelnes herausgehoben werden, um diese als einen abstrakten Begriff zu bezeichnen? --

Wenn also gleich durch die Zeichensprache Substantiva als fixirte Begriffe ausgedrückt werden können, so müssen doch die Verba immer vage, schwankende Begriffe bleiben. --

Eine einzelne aus mehreren herausgehobne Handlung eines handelnden Wesens ist ein Zeichen des handelnden Wesens; aber die Handlungen selbst haben kein Zeichen weiter, weil sie selbst nur gleichsam natürliche Zeichen von der innern Wirksamkeit eines handelnden Wesens sind.

Der Taubstumme hält ein gewisses Bild an einem kleinen Punkte in demselben fest, der ihm zum Hauptgesichtspunkte dienet. -- Er bezeichnet z.B. die Person des Königs, indem er


Jn der Seele des Taubstummen muß es daher weit unruhiger und lebhafter als in unsrer Seele seyn. Er kann seine Jdeen von den Handlungen nicht eigentlich fixiren — wenn sie angeregt werden, so muͤssen sie einander unwillkuͤhrlich anstoßen und sich wechselseitig in Bewegung setzen. Denn von den Handlungen existiren in der Seele des Taubstummen keine Zeichen, sondern die Sache selbst, die vollstaͤndigen Bilder — die einzelne Handlung eines Subjekts, wie z.B. das Pulsfuͤhlen, kann wohl, aus allen uͤbrigen herausgehoben, zur Bezeichnung des Subjektes dienen, aber was soll aus der Handlung des Pulsfuͤhlens selbst einzelnes herausgehoben werden, um diese als einen abstrakten Begriff zu bezeichnen? —

Wenn also gleich durch die Zeichensprache Substantiva als fixirte Begriffe ausgedruͤckt werden koͤnnen, so muͤssen doch die Verba immer vage, schwankende Begriffe bleiben. —

Eine einzelne aus mehreren herausgehobne Handlung eines handelnden Wesens ist ein Zeichen des handelnden Wesens; aber die Handlungen selbst haben kein Zeichen weiter, weil sie selbst nur gleichsam natuͤrliche Zeichen von der innern Wirksamkeit eines handelnden Wesens sind.

Der Taubstumme haͤlt ein gewisses Bild an einem kleinen Punkte in demselben fest, der ihm zum Hauptgesichtspunkte dienet. — Er bezeichnet z.B. die Person des Koͤnigs, indem er

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[15/0015] Jn der Seele des Taubstummen muß es daher weit unruhiger und lebhafter als in unsrer Seele seyn. Er kann seine Jdeen von den Handlungen nicht eigentlich fixiren — wenn sie angeregt werden, so muͤssen sie einander unwillkuͤhrlich anstoßen und sich wechselseitig in Bewegung setzen. Denn von den Handlungen existiren in der Seele des Taubstummen keine Zeichen, sondern die Sache selbst, die vollstaͤndigen Bilder — die einzelne Handlung eines Subjekts, wie z.B. das Pulsfuͤhlen, kann wohl, aus allen uͤbrigen herausgehoben, zur Bezeichnung des Subjektes dienen, aber was soll aus der Handlung des Pulsfuͤhlens selbst einzelnes herausgehoben werden, um diese als einen abstrakten Begriff zu bezeichnen? — Wenn also gleich durch die Zeichensprache Substantiva als fixirte Begriffe ausgedruͤckt werden koͤnnen, so muͤssen doch die Verba immer vage, schwankende Begriffe bleiben. — Eine einzelne aus mehreren herausgehobne Handlung eines handelnden Wesens ist ein Zeichen des handelnden Wesens; aber die Handlungen selbst haben kein Zeichen weiter, weil sie selbst nur gleichsam natuͤrliche Zeichen von der innern Wirksamkeit eines handelnden Wesens sind. Der Taubstumme haͤlt ein gewisses Bild an einem kleinen Punkte in demselben fest, der ihm zum Hauptgesichtspunkte dienet. — Er bezeichnet z.B. die Person des Koͤnigs, indem er

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/15>, abgerufen am 29.03.2024.