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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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vermögen aus der Stube nach der Thür hingeschleppt, dieselbe geöffnet und ein ihm bekanntes armes Kind welchem er bisweilen ein Stück Brod oder einen Pfennig zu geben pflege, mit bloßen Füßen auf dem beschneieten Tritt gefunden habe, daß er aber dasselbe dieses mal abgewiesen, weil es ihm unmöglich geschienen habe, diesen Weg, um ein Allmosen zu hohlen, bei ganz erschlafften Gliedern noch einige mal thun zu können; es sei ihm aber hinterher sehr nahe gegangen, das arme Kind abgewiesen zu haben. Das sei die letzte Begebenheit, woran er sich erinnern könne. Damit habe sich auch sein Bewußtseyn wieder angefangen. Vor einigen Tagen nämlich sey ihm gewesen, als stünde das Kind barfuß vor dem Bette und heische eine Gabe, dieses Bild habe ihn erst nicht verlassen wollen. Allmählig aber wären andre Vorstellungen gekommen, er habe nun nach und nach wieder hören und sehen können, was um ihn her vorgegangen sey und endlich habe er am vierten Tage darauf eine solche Veränderung in seinem Kopfe gespürt, welche er mit Worten nicht ausdrücken könne, die ihm aber eine solche Freude gemacht habe, als wenn ihm wer weiß was geschenkt wäre. Die sichtbare Rührung des Patienten ließ an dieser Versicherung nicht zweifeln; so wie überhaupt die oben schon bemerkte Rechtschaffenheit des Kranken, sein christliches Verhalten während der Krankheit auch nicht den geringsten Verdacht gegen die versicherte


vermoͤgen aus der Stube nach der Thuͤr hingeschleppt, dieselbe geoͤffnet und ein ihm bekanntes armes Kind welchem er bisweilen ein Stuͤck Brod oder einen Pfennig zu geben pflege, mit bloßen Fuͤßen auf dem beschneieten Tritt gefunden habe, daß er aber dasselbe dieses mal abgewiesen, weil es ihm unmoͤglich geschienen habe, diesen Weg, um ein Allmosen zu hohlen, bei ganz erschlafften Gliedern noch einige mal thun zu koͤnnen; es sei ihm aber hinterher sehr nahe gegangen, das arme Kind abgewiesen zu haben. Das sei die letzte Begebenheit, woran er sich erinnern koͤnne. Damit habe sich auch sein Bewußtseyn wieder angefangen. Vor einigen Tagen naͤmlich sey ihm gewesen, als stuͤnde das Kind barfuß vor dem Bette und heische eine Gabe, dieses Bild habe ihn erst nicht verlassen wollen. Allmaͤhlig aber waͤren andre Vorstellungen gekommen, er habe nun nach und nach wieder hoͤren und sehen koͤnnen, was um ihn her vorgegangen sey und endlich habe er am vierten Tage darauf eine solche Veraͤnderung in seinem Kopfe gespuͤrt, welche er mit Worten nicht ausdruͤcken koͤnne, die ihm aber eine solche Freude gemacht habe, als wenn ihm wer weiß was geschenkt waͤre. Die sichtbare Ruͤhrung des Patienten ließ an dieser Versicherung nicht zweifeln; so wie uͤberhaupt die oben schon bemerkte Rechtschaffenheit des Kranken, sein christliches Verhalten waͤhrend der Krankheit auch nicht den geringsten Verdacht gegen die versicherte

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[4/0004] vermoͤgen aus der Stube nach der Thuͤr hingeschleppt, dieselbe geoͤffnet und ein ihm bekanntes armes Kind welchem er bisweilen ein Stuͤck Brod oder einen Pfennig zu geben pflege, mit bloßen Fuͤßen auf dem beschneieten Tritt gefunden habe, daß er aber dasselbe dieses mal abgewiesen, weil es ihm unmoͤglich geschienen habe, diesen Weg, um ein Allmosen zu hohlen, bei ganz erschlafften Gliedern noch einige mal thun zu koͤnnen; es sei ihm aber hinterher sehr nahe gegangen, das arme Kind abgewiesen zu haben. Das sei die letzte Begebenheit, woran er sich erinnern koͤnne. Damit habe sich auch sein Bewußtseyn wieder angefangen. Vor einigen Tagen naͤmlich sey ihm gewesen, als stuͤnde das Kind barfuß vor dem Bette und heische eine Gabe, dieses Bild habe ihn erst nicht verlassen wollen. Allmaͤhlig aber waͤren andre Vorstellungen gekommen, er habe nun nach und nach wieder hoͤren und sehen koͤnnen, was um ihn her vorgegangen sey und endlich habe er am vierten Tage darauf eine solche Veraͤnderung in seinem Kopfe gespuͤrt, welche er mit Worten nicht ausdruͤcken koͤnne, die ihm aber eine solche Freude gemacht habe, als wenn ihm wer weiß was geschenkt waͤre. Die sichtbare Ruͤhrung des Patienten ließ an dieser Versicherung nicht zweifeln; so wie uͤberhaupt die oben schon bemerkte Rechtschaffenheit des Kranken, sein christliches Verhalten waͤhrend der Krankheit auch nicht den geringsten Verdacht gegen die versicherte

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/4>, abgerufen am 24.04.2024.