Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


bin ich hinlänglich überzeugt, denn er hat je, weder Bosheit noch Verstand genug gehabt, eine solche verstellte Rolle zu spielen. Hiezu kömmt, daß er jämmerlich aussieht, vor Furcht und Angst über sein Schicksal wie der Tag vergeht, und keine Nacht Ruhe hat. Oft steht er auf, sich zum Tode zu bereiten, kleidet sich an, und behauptet strenge, daß der Wagen vor der Thür wäre, auf dem er zu seinem Ende abgeholt werden sollte. Jch habe ihn oft zu mir kommen lassen, um ihn seine wahnsinnigen Jdeen durch vernünftige Vorstellungen, denen er auch ruhig Gehör giebt, auszureden. Er versichert auch, daß er in meinen Vorstellungen sehr viel Beruhigung fände, kömmt oft von selbst wieder, mir sein Leiden zu klagen, welches aber immer einerlei ist, und geht, wenn ich all meine Beredsamkeit zu seinem Troste angewendet habe, ganz beruhiget wieder von mir. Es währt aber kaum einen oder zween Tage, so erwachen die vorigen Vorstellungen wieder in ihm, und alle Beruhigung ist wieder verschwunden. Er klagt mir, daß ein langer vornehmer Mann ihn nach dem Leben trachte, dem er nicht entgehen könnte, und man hat, wenn man mit ihm spricht, die größte Behutsamkeit nöthig, um sich nicht im mindesten eines, auch nur scheinbar harten Ausdrucks zu bedienen, weil er sonst gleich glaubt, man sey sein Feind, und wolle ihn umbringen. Oft springt er des Nachts auf, um ins Feld zu gehen, und die Zehendarbei-


bin ich hinlaͤnglich uͤberzeugt, denn er hat je, weder Bosheit noch Verstand genug gehabt, eine solche verstellte Rolle zu spielen. Hiezu koͤmmt, daß er jaͤmmerlich aussieht, vor Furcht und Angst uͤber sein Schicksal wie der Tag vergeht, und keine Nacht Ruhe hat. Oft steht er auf, sich zum Tode zu bereiten, kleidet sich an, und behauptet strenge, daß der Wagen vor der Thuͤr waͤre, auf dem er zu seinem Ende abgeholt werden sollte. Jch habe ihn oft zu mir kommen lassen, um ihn seine wahnsinnigen Jdeen durch vernuͤnftige Vorstellungen, denen er auch ruhig Gehoͤr giebt, auszureden. Er versichert auch, daß er in meinen Vorstellungen sehr viel Beruhigung faͤnde, koͤmmt oft von selbst wieder, mir sein Leiden zu klagen, welches aber immer einerlei ist, und geht, wenn ich all meine Beredsamkeit zu seinem Troste angewendet habe, ganz beruhiget wieder von mir. Es waͤhrt aber kaum einen oder zween Tage, so erwachen die vorigen Vorstellungen wieder in ihm, und alle Beruhigung ist wieder verschwunden. Er klagt mir, daß ein langer vornehmer Mann ihn nach dem Leben trachte, dem er nicht entgehen koͤnnte, und man hat, wenn man mit ihm spricht, die groͤßte Behutsamkeit noͤthig, um sich nicht im mindesten eines, auch nur scheinbar harten Ausdrucks zu bedienen, weil er sonst gleich glaubt, man sey sein Feind, und wolle ihn umbringen. Oft springt er des Nachts auf, um ins Feld zu gehen, und die Zehendarbei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0018" n="18"/><lb/>
bin ich hinla&#x0364;nglich u&#x0364;berzeugt, denn er hat je, weder Bosheit noch                   Verstand genug gehabt, eine solche verstellte Rolle zu spielen. Hiezu ko&#x0364;mmt, daß                   er ja&#x0364;mmerlich aussieht, vor Furcht und Angst u&#x0364;ber sein Schicksal wie der Tag                   vergeht, und keine Nacht Ruhe hat. Oft steht er auf, sich zum Tode zu bereiten,                   kleidet sich an, und behauptet strenge, daß der Wagen vor der Thu&#x0364;r wa&#x0364;re, auf dem                   er zu seinem Ende abgeholt werden sollte. Jch habe ihn oft zu mir kommen lassen,                   um ihn seine wahnsinnigen Jdeen durch vernu&#x0364;nftige Vorstellungen, denen er auch                   ruhig Geho&#x0364;r giebt, auszureden. Er versichert auch, daß er in meinen Vorstellungen                   sehr viel Beruhigung fa&#x0364;nde, ko&#x0364;mmt oft von selbst wieder, mir sein Leiden zu                   klagen, welches aber immer einerlei ist, und geht, wenn ich all meine Beredsamkeit                   zu seinem Troste angewendet habe, ganz beruhiget wieder von mir. Es wa&#x0364;hrt aber                   kaum einen oder zween Tage, so erwachen die vorigen Vorstellungen wieder in ihm,                   und alle Beruhigung ist wieder verschwunden. Er klagt mir, daß ein langer                   vornehmer Mann ihn nach dem Leben trachte, dem er nicht entgehen ko&#x0364;nnte, und man                   hat, wenn man mit ihm spricht, die gro&#x0364;ßte Behutsamkeit no&#x0364;thig, um sich nicht im                   mindesten eines, auch nur <choice><corr>scheinbar</corr><sic>cheinbar</sic></choice> harten Ausdrucks zu bedienen, weil er sonst gleich                   glaubt, man sey sein Feind, und wolle ihn umbringen. Oft springt er des Nachts                   auf, um ins Feld zu gehen, und die Zehendarbei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0018] bin ich hinlaͤnglich uͤberzeugt, denn er hat je, weder Bosheit noch Verstand genug gehabt, eine solche verstellte Rolle zu spielen. Hiezu koͤmmt, daß er jaͤmmerlich aussieht, vor Furcht und Angst uͤber sein Schicksal wie der Tag vergeht, und keine Nacht Ruhe hat. Oft steht er auf, sich zum Tode zu bereiten, kleidet sich an, und behauptet strenge, daß der Wagen vor der Thuͤr waͤre, auf dem er zu seinem Ende abgeholt werden sollte. Jch habe ihn oft zu mir kommen lassen, um ihn seine wahnsinnigen Jdeen durch vernuͤnftige Vorstellungen, denen er auch ruhig Gehoͤr giebt, auszureden. Er versichert auch, daß er in meinen Vorstellungen sehr viel Beruhigung faͤnde, koͤmmt oft von selbst wieder, mir sein Leiden zu klagen, welches aber immer einerlei ist, und geht, wenn ich all meine Beredsamkeit zu seinem Troste angewendet habe, ganz beruhiget wieder von mir. Es waͤhrt aber kaum einen oder zween Tage, so erwachen die vorigen Vorstellungen wieder in ihm, und alle Beruhigung ist wieder verschwunden. Er klagt mir, daß ein langer vornehmer Mann ihn nach dem Leben trachte, dem er nicht entgehen koͤnnte, und man hat, wenn man mit ihm spricht, die groͤßte Behutsamkeit noͤthig, um sich nicht im mindesten eines, auch nur scheinbar harten Ausdrucks zu bedienen, weil er sonst gleich glaubt, man sey sein Feind, und wolle ihn umbringen. Oft springt er des Nachts auf, um ins Feld zu gehen, und die Zehendarbei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/18
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/18>, abgerufen am 29.03.2024.