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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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aufzuwecken, welches aber vergeblich gewesen sei; denn er sei an Hersagung der Predigt und im Schlaf geblieben. Da alles vorbei gewesen und er wieder stille geworden sei, habe seine Gattin ihn gefragt: Wie ihm sey? Worauf er erwiedert habe: Gut! Hiernach habe sie ihm in grosser Bestürzung erzälet, was mit ihm vorgegangen sei. Davon habe er aber nichts gewußt. Und seitdem müsse er oft predigen, ohne daß er wisse, wie er dazu komme.

Man merket an ihm nichts Schwärmerisches, als ob er seine Predigten für etwas Uebernatürliches hielte: und eben so wenig bildet er sich darauf ein. Betrug und Verstellung kann, nach allen Umständen, hierbei, meines Erachtens, auch nicht vermuthet werden; zumalen, da er dadurch nichts zu gewinnen suchet, und in so langer Zeit nichts gewonnen hat, weder an Ehre noch Gut.

Mit Schrifterklärungen giebt er sich niemals ab; sondern seine Vorträge sind aus den nöthigsten und bekanntesten Religionswahrheiten und deutlichen Sprüchen der Bibel, welche er nach dem Kapitel ordentlich citiret, leicht zusammengesetzet, und eben deswegen für jedermann sehr faßlich; gleichwohl fehlet es ihnen nicht an Zusammenhang, doch ohne ins Aengstliche zu fallen. Und in dieser Rücksicht sind seine Vorträge wahre Muster für Dorfprediger.



aufzuwecken, welches aber vergeblich gewesen sei; denn er sei an Hersagung der Predigt und im Schlaf geblieben. Da alles vorbei gewesen und er wieder stille geworden sei, habe seine Gattin ihn gefragt: Wie ihm sey? Worauf er erwiedert habe: Gut! Hiernach habe sie ihm in grosser Bestuͤrzung erzaͤlet, was mit ihm vorgegangen sei. Davon habe er aber nichts gewußt. Und seitdem muͤsse er oft predigen, ohne daß er wisse, wie er dazu komme.

Man merket an ihm nichts Schwaͤrmerisches, als ob er seine Predigten fuͤr etwas Uebernatuͤrliches hielte: und eben so wenig bildet er sich darauf ein. Betrug und Verstellung kann, nach allen Umstaͤnden, hierbei, meines Erachtens, auch nicht vermuthet werden; zumalen, da er dadurch nichts zu gewinnen suchet, und in so langer Zeit nichts gewonnen hat, weder an Ehre noch Gut.

Mit Schrifterklaͤrungen giebt er sich niemals ab; sondern seine Vortraͤge sind aus den noͤthigsten und bekanntesten Religionswahrheiten und deutlichen Spruͤchen der Bibel, welche er nach dem Kapitel ordentlich citiret, leicht zusammengesetzet, und eben deswegen fuͤr jedermann sehr faßlich; gleichwohl fehlet es ihnen nicht an Zusammenhang, doch ohne ins Aengstliche zu fallen. Und in dieser Ruͤcksicht sind seine Vortraͤge wahre Muster fuͤr Dorfprediger.


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[46/0048] aufzuwecken, welches aber vergeblich gewesen sei; denn er sei an Hersagung der Predigt und im Schlaf geblieben. Da alles vorbei gewesen und er wieder stille geworden sei, habe seine Gattin ihn gefragt: Wie ihm sey? Worauf er erwiedert habe: Gut! Hiernach habe sie ihm in grosser Bestuͤrzung erzaͤlet, was mit ihm vorgegangen sei. Davon habe er aber nichts gewußt. Und seitdem muͤsse er oft predigen, ohne daß er wisse, wie er dazu komme. Man merket an ihm nichts Schwaͤrmerisches, als ob er seine Predigten fuͤr etwas Uebernatuͤrliches hielte: und eben so wenig bildet er sich darauf ein. Betrug und Verstellung kann, nach allen Umstaͤnden, hierbei, meines Erachtens, auch nicht vermuthet werden; zumalen, da er dadurch nichts zu gewinnen suchet, und in so langer Zeit nichts gewonnen hat, weder an Ehre noch Gut. Mit Schrifterklaͤrungen giebt er sich niemals ab; sondern seine Vortraͤge sind aus den noͤthigsten und bekanntesten Religionswahrheiten und deutlichen Spruͤchen der Bibel, welche er nach dem Kapitel ordentlich citiret, leicht zusammengesetzet, und eben deswegen fuͤr jedermann sehr faßlich; gleichwohl fehlet es ihnen nicht an Zusammenhang, doch ohne ins Aengstliche zu fallen. Und in dieser Ruͤcksicht sind seine Vortraͤge wahre Muster fuͤr Dorfprediger.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/48>, abgerufen am 25.04.2024.