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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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vermuthlich in der Absicht, mich auch persönlich kennen zu lernen. Er mochte nun meinen körperlichen Fehler gesehen, und es seinem Bruder gemeldet haben; kurz darauf erhielt ich die Nachricht: "er könne mich wegen meines körperlichen Fehlers unmöglich annehmen; weil es die Grundsätze des Jnstituts keinesweges gestatteten; er bedaure übrigens, daß ich meine neue Aussicht wieder verschwinden sehen mußte." Und so war ich wieder der Elende, Verlassene, dessen körperlicher Fehler ihn nun zum zweitenmale an seinem Glücke hinderte. --

Um aber das Kränkende einer fehlgeschlagenen Hofnung bei einem so äusserst Unglücklichen einigermassen zu mildern, so meldete mir der Herr Aufseher, der Hr. Domh. v. R** würde mich in meinen elenden Umständen einigermassen unterstützen. Jch erhielt kurz darauf einen Dukaten. Mir war diese Hülfe dazumal um so nöthiger: da mich der Gedanke: "so nimmt doch noch Ein Mensch Antheil an deinem Leiden," von der gänzlichen Muthlosigkeit und Verzweiflung, die ich schon mit raschen Schritten sich mir nähern sahe, einigermaßen befreite. Denn ich habs mehr als einmal empfunden, wie leicht sich das gepreßte Herz wieder auf den reizenden Hügel der Hofnung erhebt, wovon es fehlgeschlagene Erwartung verdrängt hat. Und ich glaube, mancher Unglückliche würde nicht ein Raub der Verzweiflung ge-


vermuthlich in der Absicht, mich auch persoͤnlich kennen zu lernen. Er mochte nun meinen koͤrperlichen Fehler gesehen, und es seinem Bruder gemeldet haben; kurz darauf erhielt ich die Nachricht: »er koͤnne mich wegen meines koͤrperlichen Fehlers unmoͤglich annehmen; weil es die Grundsaͤtze des Jnstituts keinesweges gestatteten; er bedaure uͤbrigens, daß ich meine neue Aussicht wieder verschwinden sehen mußte.« Und so war ich wieder der Elende, Verlassene, dessen koͤrperlicher Fehler ihn nun zum zweitenmale an seinem Gluͤcke hinderte. —

Um aber das Kraͤnkende einer fehlgeschlagenen Hofnung bei einem so aͤusserst Ungluͤcklichen einigermassen zu mildern, so meldete mir der Herr Aufseher, der Hr. Domh. v. R** wuͤrde mich in meinen elenden Umstaͤnden einigermassen unterstuͤtzen. Jch erhielt kurz darauf einen Dukaten. Mir war diese Huͤlfe dazumal um so noͤthiger: da mich der Gedanke: »so nimmt doch noch Ein Mensch Antheil an deinem Leiden,« von der gaͤnzlichen Muthlosigkeit und Verzweiflung, die ich schon mit raschen Schritten sich mir naͤhern sahe, einigermaßen befreite. Denn ich habs mehr als einmal empfunden, wie leicht sich das gepreßte Herz wieder auf den reizenden Huͤgel der Hofnung erhebt, wovon es fehlgeschlagene Erwartung verdraͤngt hat. Und ich glaube, mancher Ungluͤckliche wuͤrde nicht ein Raub der Verzweiflung ge-

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[14/0016] vermuthlich in der Absicht, mich auch persoͤnlich kennen zu lernen. Er mochte nun meinen koͤrperlichen Fehler gesehen, und es seinem Bruder gemeldet haben; kurz darauf erhielt ich die Nachricht: »er koͤnne mich wegen meines koͤrperlichen Fehlers unmoͤglich annehmen; weil es die Grundsaͤtze des Jnstituts keinesweges gestatteten; er bedaure uͤbrigens, daß ich meine neue Aussicht wieder verschwinden sehen mußte.« Und so war ich wieder der Elende, Verlassene, dessen koͤrperlicher Fehler ihn nun zum zweitenmale an seinem Gluͤcke hinderte. — Um aber das Kraͤnkende einer fehlgeschlagenen Hofnung bei einem so aͤusserst Ungluͤcklichen einigermassen zu mildern, so meldete mir der Herr Aufseher, der Hr. Domh. v. R** wuͤrde mich in meinen elenden Umstaͤnden einigermassen unterstuͤtzen. Jch erhielt kurz darauf einen Dukaten. Mir war diese Huͤlfe dazumal um so noͤthiger: da mich der Gedanke: »so nimmt doch noch Ein Mensch Antheil an deinem Leiden,« von der gaͤnzlichen Muthlosigkeit und Verzweiflung, die ich schon mit raschen Schritten sich mir naͤhern sahe, einigermaßen befreite. Denn ich habs mehr als einmal empfunden, wie leicht sich das gepreßte Herz wieder auf den reizenden Huͤgel der Hofnung erhebt, wovon es fehlgeschlagene Erwartung verdraͤngt hat. Und ich glaube, mancher Ungluͤckliche wuͤrde nicht ein Raub der Verzweiflung ge-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/16>, abgerufen am 18.04.2024.