Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


nersten Empfindung, immer etwas fremdes, ausser mir selbst vorgehendes blieb, herausgesetzt würde, so würde ich in der besten glücklichsten Ordnung und Ruhe fortdauren und fortdenken. Bei dem allen war nicht die mindeste Täuschung der äusserlichen Sinnlichkeit; ich sahe und kannte alles um mich herum in seiner wahren Gestalt; nur des fremden Andranges und Gewirres im Kopfe konnte ich nicht loswerden. Jch versuchte zu reden, gleichsam zur Uebung, ob ich etwas Zusammenhangendes hervorzubringen im Stande wäre; aber so sehr ich auch Aufmerksamkeit und Gedanken mit Gewalt zusammenzwang, und mit der äussersten Langsamkeit dabei verfuhr, so merkte ich doch bald, daß unförmliche und ganz andere Wörter erfolgten, als die ich wollte; meine Seele war jetzt eben so wenig Herr über die innerlichen Werkzeuge des Sprechens, als vorhin des Schreibens. Jch gab mich also zufrieden, in der, freilich an sich nicht erfreuenden Erwartung, daß, wenn dieser Zustand beständig so fortdauren sollte, ich auf meine Lebenszeit weder würde reden noch schreiben können, daß aber meine eigenen mir bewußten Grundsätze und Gesinnungen immer dieselben und also auch, bis zu der völligen Absonderung von diesem ungestümen Spiele des Gehirns, mir noch stets eine einheimische Quelle der Beruhigung und der Hofnung des Besseren bleiben würden. Jch bedauerte nur meine Angehörigen und Freunde, daß sie mich,


nersten Empfindung, immer etwas fremdes, ausser mir selbst vorgehendes blieb, herausgesetzt wuͤrde, so wuͤrde ich in der besten gluͤcklichsten Ordnung und Ruhe fortdauren und fortdenken. Bei dem allen war nicht die mindeste Taͤuschung der aͤusserlichen Sinnlichkeit; ich sahe und kannte alles um mich herum in seiner wahren Gestalt; nur des fremden Andranges und Gewirres im Kopfe konnte ich nicht loswerden. Jch versuchte zu reden, gleichsam zur Uebung, ob ich etwas Zusammenhangendes hervorzubringen im Stande waͤre; aber so sehr ich auch Aufmerksamkeit und Gedanken mit Gewalt zusammenzwang, und mit der aͤussersten Langsamkeit dabei verfuhr, so merkte ich doch bald, daß unfoͤrmliche und ganz andere Woͤrter erfolgten, als die ich wollte; meine Seele war jetzt eben so wenig Herr uͤber die innerlichen Werkzeuge des Sprechens, als vorhin des Schreibens. Jch gab mich also zufrieden, in der, freilich an sich nicht erfreuenden Erwartung, daß, wenn dieser Zustand bestaͤndig so fortdauren sollte, ich auf meine Lebenszeit weder wuͤrde reden noch schreiben koͤnnen, daß aber meine eigenen mir bewußten Grundsaͤtze und Gesinnungen immer dieselben und also auch, bis zu der voͤlligen Absonderung von diesem ungestuͤmen Spiele des Gehirns, mir noch stets eine einheimische Quelle der Beruhigung und der Hofnung des Besseren bleiben wuͤrden. Jch bedauerte nur meine Angehoͤrigen und Freunde, daß sie mich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0044" n="40"/><lb/>
nersten                         Empfindung, immer etwas fremdes, ausser mir selbst vorgehendes blieb,                         herausgesetzt wu&#x0364;rde, so wu&#x0364;rde ich in der besten glu&#x0364;cklichsten Ordnung und                         Ruhe fortdauren und fortdenken. Bei dem allen war nicht die mindeste                         Ta&#x0364;uschung der a&#x0364;usserlichen Sinnlichkeit; ich sahe und kannte alles um mich                         herum in seiner wahren Gestalt; nur des fremden Andranges und Gewirres im                         Kopfe konnte ich nicht loswerden. Jch versuchte zu reden, gleichsam zur                         Uebung, ob ich etwas Zusammenhangendes hervorzubringen im Stande wa&#x0364;re; aber                         so sehr ich auch Aufmerksamkeit und Gedanken mit Gewalt zusammenzwang, und                         mit der a&#x0364;ussersten Langsamkeit dabei verfuhr, so merkte ich doch bald, daß                         unfo&#x0364;rmliche und ganz andere Wo&#x0364;rter erfolgten, als die ich wollte; meine                         Seele war jetzt eben so wenig Herr u&#x0364;ber die                                 <choice><corr>innerlichen</corr><sic>innerlicheu</sic></choice>                         Werkzeuge des Sprechens, als vorhin des Schreibens. Jch gab mich also                         zufrieden, in der, freilich an sich nicht erfreuenden Erwartung, daß, wenn                         dieser Zustand besta&#x0364;ndig so fortdauren sollte, ich auf meine Lebenszeit                         weder wu&#x0364;rde reden noch schreiben ko&#x0364;nnen, daß aber meine eigenen mir bewußten                         Grundsa&#x0364;tze und Gesinnungen immer dieselben und also auch, bis zu der                         vo&#x0364;lligen Absonderung von diesem ungestu&#x0364;men Spiele des Gehirns, mir noch                         stets eine einheimische Quelle der Beruhigung und der Hofnung des Besseren                         bleiben wu&#x0364;rden. Jch bedauerte nur meine Angeho&#x0364;rigen und Freunde, daß sie                         mich,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0044] nersten Empfindung, immer etwas fremdes, ausser mir selbst vorgehendes blieb, herausgesetzt wuͤrde, so wuͤrde ich in der besten gluͤcklichsten Ordnung und Ruhe fortdauren und fortdenken. Bei dem allen war nicht die mindeste Taͤuschung der aͤusserlichen Sinnlichkeit; ich sahe und kannte alles um mich herum in seiner wahren Gestalt; nur des fremden Andranges und Gewirres im Kopfe konnte ich nicht loswerden. Jch versuchte zu reden, gleichsam zur Uebung, ob ich etwas Zusammenhangendes hervorzubringen im Stande waͤre; aber so sehr ich auch Aufmerksamkeit und Gedanken mit Gewalt zusammenzwang, und mit der aͤussersten Langsamkeit dabei verfuhr, so merkte ich doch bald, daß unfoͤrmliche und ganz andere Woͤrter erfolgten, als die ich wollte; meine Seele war jetzt eben so wenig Herr uͤber die innerlichen Werkzeuge des Sprechens, als vorhin des Schreibens. Jch gab mich also zufrieden, in der, freilich an sich nicht erfreuenden Erwartung, daß, wenn dieser Zustand bestaͤndig so fortdauren sollte, ich auf meine Lebenszeit weder wuͤrde reden noch schreiben koͤnnen, daß aber meine eigenen mir bewußten Grundsaͤtze und Gesinnungen immer dieselben und also auch, bis zu der voͤlligen Absonderung von diesem ungestuͤmen Spiele des Gehirns, mir noch stets eine einheimische Quelle der Beruhigung und der Hofnung des Besseren bleiben wuͤrden. Jch bedauerte nur meine Angehoͤrigen und Freunde, daß sie mich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/44
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/44>, abgerufen am 25.04.2024.