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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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den Gebieten der Wissenschaft, wie auf denen der organisierenden6.114
Armenpflege und Humanität Außerordentliches geleistet haben,6.115
welches sie alle mehr oder weniger über das Durchschnittsmaß 6.116
männlicher Bildung und Charakterstärke emporhoben. Ich nenne hier6.117
nur in der medizinischen Wissenschaft die Namen Elisabeth und6.118
Emily Blackwell. Doktoren der Medizin, Frl. Dr. Maria Zakrzewska,6.119
die Gründerin des berühmten Neu England-Hospitals in Boston,6.120
Miß Iex-Blake, Doktor der Medizin, welche die Anregung zur6.121
Gründung der ersten medizinischen Schule in England gab, Mrs.6.122
Garret Anderson, die anerkannt verdienstvolle Gründerin und Leiterin6.123
des großen Frauenhospitals in London, und endlich die mutigen6.124
Frauen, welche das medizinische Studium absolvierten, um nach6.125
Indien zu gehen und den unglücklichen Hindufrauen die Befreiung6.126
von namenlosem geistigen und körperlichen Elend zu bringen. Die6.127
öffentliche Aufmerksamkeit in England auf die traurige Lage der6.128
indischen Frauen hingelenkt zu haben, ist das Verdienst einer 6.129
Hindudame, Rukmibai, welche nach England ging, um dort Medizin zu6.130
studieren. -- Während in dem Lande der Denker, in Deutschland,6.131
den Frauen das Recht versagt wird, Medizin zu studieren, vermehren6.132
sich in den englischen Kolonien, im fernen Indien jetzt die 6.133
Einrichtungen zur Ausbildung von eingeborenen Frauen für den 6.134
ärztlichen Beruf. In Madras und Bombay sind neben medizinischen6.135
Schulen Hospitäler mit weiblichen Ärzten für Frauen und Kinder,6.136
und diese Einrichtungen sind nur der seltenen Energie von Frauen6.137
zu verdanken, die wie Mary Carpenter, Miß Beilby, Mrs. Scharlieb6.138
u. a. m. nicht aufhörten, für die Verbesserung des Loses der indischen6.139
Frauen zu wirken. Rührend ist es zu lesen, welche Opfer an6.140
Lebenskraft, Zeit und Vermögen alle diese Frauen dem Wohle der6.141
menschlichen Gesellschaft gebracht haben und man kann gewiß nicht6.142
sagen, daß sie das Niveau männlicher Charakterstärke und Energie6.143
nicht erreicht hätten. Hier sei auch der Florence Nightingale,6.144
Octavia Hill, Elisabeth Fry, Luise Büchner u. s. w. gedacht.6.145

Sie, hochgeehrter Herr Professor, sprechen aus, daß 6.146
vorzugsweise die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit die Frau zum Studium6.147
der Medizin treibe. Diesem gegenüber möchte ich behaupten, daß6.148
dies nicht der Fall sei, vielmehr, daß ein wissenschaftlicher, höherer6.149
Trieb die Frau das so schwer zu erreichende Studium ergreifen6.150
lasse. Daß sie gerade das medizinische bevorzugt, liegt 6.151
begreiflicherweise darin, daß die Frau in der Häuslichkeit bereits die6.152
natürliche Pflegerin der Gesunden und Kranken ist und daß sie als6.153
Hüterin der heranwachsenden weiblichen Jugend es als eine sanitäre6.154
und sittliche Notwendigkeit erkannt hat, Ärztinnen für 6.155

den Gebieten der Wissenschaft, wie auf denen der organisierenden6.114
Armenpflege und Humanität Außerordentliches geleistet haben,6.115
welches sie alle mehr oder weniger über das Durchschnittsmaß 6.116
männlicher Bildung und Charakterstärke emporhoben. Ich nenne hier6.117
nur in der medizinischen Wissenschaft die Namen Elisabeth und6.118
Emily Blackwell. Doktoren der Medizin, Frl. Dr. Maria Zakrzewska,6.119
die Gründerin des berühmten Neu England-Hospitals in Boston,6.120
Miß Iex-Blake, Doktor der Medizin, welche die Anregung zur6.121
Gründung der ersten medizinischen Schule in England gab, Mrs.6.122
Garret Anderson, die anerkannt verdienstvolle Gründerin und Leiterin6.123
des großen Frauenhospitals in London, und endlich die mutigen6.124
Frauen, welche das medizinische Studium absolvierten, um nach6.125
Indien zu gehen und den unglücklichen Hindufrauen die Befreiung6.126
von namenlosem geistigen und körperlichen Elend zu bringen. Die6.127
öffentliche Aufmerksamkeit in England auf die traurige Lage der6.128
indischen Frauen hingelenkt zu haben, ist das Verdienst einer 6.129
Hindudame, Rukmibai, welche nach England ging, um dort Medizin zu6.130
studieren. — Während in dem Lande der Denker, in Deutschland,6.131
den Frauen das Recht versagt wird, Medizin zu studieren, vermehren6.132
sich in den englischen Kolonien, im fernen Indien jetzt die 6.133
Einrichtungen zur Ausbildung von eingeborenen Frauen für den 6.134
ärztlichen Beruf. In Madras und Bombay sind neben medizinischen6.135
Schulen Hospitäler mit weiblichen Ärzten für Frauen und Kinder,6.136
und diese Einrichtungen sind nur der seltenen Energie von Frauen6.137
zu verdanken, die wie Mary Carpenter, Miß Beilby, Mrs. Scharlieb6.138
u. a. m. nicht aufhörten, für die Verbesserung des Loses der indischen6.139
Frauen zu wirken. Rührend ist es zu lesen, welche Opfer an6.140
Lebenskraft, Zeit und Vermögen alle diese Frauen dem Wohle der6.141
menschlichen Gesellschaft gebracht haben und man kann gewiß nicht6.142
sagen, daß sie das Niveau männlicher Charakterstärke und Energie6.143
nicht erreicht hätten. Hier sei auch der Florence Nightingale,6.144
Octavia Hill, Elisabeth Fry, Luise Büchner u. s. w. gedacht.6.145

Sie, hochgeehrter Herr Professor, sprechen aus, daß 6.146
vorzugsweise die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit die Frau zum Studium6.147
der Medizin treibe. Diesem gegenüber möchte ich behaupten, daß6.148
dies nicht der Fall sei, vielmehr, daß ein wissenschaftlicher, höherer6.149
Trieb die Frau das so schwer zu erreichende Studium ergreifen6.150
lasse. Daß sie gerade das medizinische bevorzugt, liegt 6.151
begreiflicherweise darin, daß die Frau in der Häuslichkeit bereits die6.152
natürliche Pflegerin der Gesunden und Kranken ist und daß sie als6.153
Hüterin der heranwachsenden weiblichen Jugend es als eine sanitäre6.154
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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/5>, abgerufen am 24.04.2024.