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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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Studium ungenießbar werden und an Achtung verlieren wird,19.660
während sie selbst durch ihr Wissen eine bevorzugte Stellung in der19.661
Gesellschaft einnehmen, und was veranlaßt Sie, hochgeehrter Herr19.662
Professor, zu der Meinung, daß die gebildete Männerwelt gegen19.663
gebildete und gleichgestellte Frauen weniger höflich sein, weniger 19.664
Rücksichten nehmen wird, wenn sie alsdann gleiche Rechte mit ihm 19.665
besitzt? Eine solche Rohheit des Empfindens wollen wir garnicht19.666
voraussetzen. Behandelt denn der Kaufmann seine Gattin weniger19.667
rücksichtsvoll, wenn sie für ihn und ihm zur Seite erwirbt? Freilich19.668
eine Frau, welche die Gelehrtheit und wissenschaftliche Bildung 19.669
verknöchert, einseitig, schroff und in ihrer äußeren Erscheinung 19.670
vernachlässigt zeigt, würde ebenso wie der gelehrte Mann, der diese19.671
Eigenschaften besitzt, als Sonderling verlacht und vermieden werden.19.672
Gerade je höher die Bildung einer Frau, desto mehr muß sie 19.673
bestrebt sein, in ihrem ganzen Wesen harmonisch zu erscheinen und19.674
einen wohlgefälligen Vertrauen weckenden Eindruck durch ihre 19.675
Erscheinung zu machen!19.676

Die leitenden Persönlichkeiten der Frauentage besiegten zunächst19.677
die herrschenden Vorurteile durch echt weibliches, bescheidenes und19.678
einfaches Auftreten, so daß man bald zu der Ueberzeugung kam, die19.679
sogenannten Emanzipierten seien einfache Frauen, die nichts wollten,19.680
als ihr Recht verteidigen und das Los ihres Geschlechts verbessern.19.681
Zu den vielen Scheingründen und Beispielen in Ihrer Rede, 19.682
hochgeehrter Herr Professor, gehört auch das von der linken und der19.683
rechten Hand. Freilich zeigt sich die rechte, von Generation zu19.684
Generation stets zur Arbeitsleistung erzogene Hand geschickter zum19.685
Angreifen und zum energischen Arbeiten, aber sobald die rechte Hand19.686
fehlt, vermag die linke zur höchsten Geschicklichkeit herangezogen19.687
zu werden. Ich kenne eine einarmige Dame, die mit der linken19.688
Hand die zierlichsten Arbeiten macht und ebenso auch schnell und19.689
fließend schreibt. Also auch hier zeigt es sich, daß Kräfte sich nur19.690
dann entwickeln, wenn sie geübt und gebildet werden.19.691

Sie geben selbst zu, hochgeehrter Herr Professor, daß der19.692
Wirkungskreis der Frauen nicht zurückgedrängt werden soll und daß19.693
man das Frauengeschlecht körperlich und geistig heranbilde, 19.694
vollkommen dem Manne ebenbürtig, bereit mit ihm in gleiche Leistungsfähigkeit19.695
in den Kampf ums Dasein zu treten. Sie wird dann19.696
dem Mann begehrungswert erscheinen, wie der Mann dem Weibe,19.697
beide werden sich in harmonischer Weise ergänzen zum 19.698
Menschenideal u. s. w. und dennoch fügen Sie hinzu: Aber die Frau bleibe19.699
dabei in demjenigen Kreise, in welchem sie ihre natürliche Kraft19.700
und Entwicklungsfähigkeit besitzt.
Ich frage Sie, hochgeehrter19.701
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Studium ungenießbar werden und an Achtung verlieren wird,19.660
während sie selbst durch ihr Wissen eine bevorzugte Stellung in der19.661
Gesellschaft einnehmen, und was veranlaßt Sie, hochgeehrter Herr19.662
Professor, zu der Meinung, daß die gebildete Männerwelt gegen19.663
gebildete und gleichgestellte Frauen weniger höflich sein, weniger 19.664
Rücksichten nehmen wird, wenn sie alsdann gleiche Rechte mit ihm 19.665
besitzt? Eine solche Rohheit des Empfindens wollen wir garnicht19.666
voraussetzen. Behandelt denn der Kaufmann seine Gattin weniger19.667
rücksichtsvoll, wenn sie für ihn und ihm zur Seite erwirbt? Freilich19.668
eine Frau, welche die Gelehrtheit und wissenschaftliche Bildung 19.669
verknöchert, einseitig, schroff und in ihrer äußeren Erscheinung 19.670
vernachlässigt zeigt, würde ebenso wie der gelehrte Mann, der diese19.671
Eigenschaften besitzt, als Sonderling verlacht und vermieden werden.19.672
Gerade je höher die Bildung einer Frau, desto mehr muß sie 19.673
bestrebt sein, in ihrem ganzen Wesen harmonisch zu erscheinen und19.674
einen wohlgefälligen Vertrauen weckenden Eindruck durch ihre 19.675
Erscheinung zu machen!19.676

Die leitenden Persönlichkeiten der Frauentage besiegten zunächst19.677
die herrschenden Vorurteile durch echt weibliches, bescheidenes und19.678
einfaches Auftreten, so daß man bald zu der Ueberzeugung kam, die19.679
sogenannten Emanzipierten seien einfache Frauen, die nichts wollten,19.680
als ihr Recht verteidigen und das Los ihres Geschlechts verbessern.19.681
Zu den vielen Scheingründen und Beispielen in Ihrer Rede, 19.682
hochgeehrter Herr Professor, gehört auch das von der linken und der19.683
rechten Hand. Freilich zeigt sich die rechte, von Generation zu19.684
Generation stets zur Arbeitsleistung erzogene Hand geschickter zum19.685
Angreifen und zum energischen Arbeiten, aber sobald die rechte Hand19.686
fehlt, vermag die linke zur höchsten Geschicklichkeit herangezogen19.687
zu werden. Ich kenne eine einarmige Dame, die mit der linken19.688
Hand die zierlichsten Arbeiten macht und ebenso auch schnell und19.689
fließend schreibt. Also auch hier zeigt es sich, daß Kräfte sich nur19.690
dann entwickeln, wenn sie geübt und gebildet werden.19.691

Sie geben selbst zu, hochgeehrter Herr Professor, daß der19.692
Wirkungskreis der Frauen nicht zurückgedrängt werden soll und daß19.693
man das Frauengeschlecht körperlich und geistig heranbilde, 19.694
vollkommen dem Manne ebenbürtig, bereit mit ihm in gleiche Leistungsfähigkeit19.695
in den Kampf ums Dasein zu treten. Sie wird dann19.696
dem Mann begehrungswert erscheinen, wie der Mann dem Weibe,19.697
beide werden sich in harmonischer Weise ergänzen zum 19.698
Menschenideal u. s. w. und dennoch fügen Sie hinzu: Aber die Frau bleibe19.699
dabei in demjenigen Kreise, in welchem sie ihre natürliche Kraft19.700
und Entwicklungsfähigkeit besitzt.
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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/18>, abgerufen am 28.03.2024.