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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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überschreiten. Diejenigen derselben, welche Lust und Neigung 17.575
verspüren als Ärzte zu wirken, sollte die Gesetzgebung nicht 17.576
zurückweisen. Es muß Jedermanns eigene Sache sein, sich seinen 17.577
Lebensberuf zu wählen.
17.578

Was das Gefühlsleben betrifft, so birgt das medizinische 17.579
Studium, besonders in Betreff der Geschlechtssphäre Gefahren, aber17.580
diese dürften größer für Männer als für Frauen sein. Was 17.581
dagegen den Sinn betrifft, den man Takt nennt, so nehme ich an,17.582
daß die Frau hierin dem Manne überlegen ist und doch muß man17.583
dessen eingedenk sein, daß viele schwierige Familienverhältnisse von17.584
dem Takt abhängig werden können, mit dem der betreffende Arzt17.585
auftritt.
17.586

Durchschnittlich besitzt der Mann in höherem Grade als die17.587
Frau ein ruhiges, kaltes Erwägen und Ermessen. Wenn aber eine17.588
Frau diese Eigenschaft in einem hohen Grade besitzt, muß man 17.589
derselben Gelegenheit geben sich zu versuchen. Ist sie tüchtig, wird17.590
man sie anwenden, ist sie aber untüchtig, wird man sie vergessen17.591
und sie verschwindet. Was schließlich die körperliche Stärke betrifft,17.592
so will ich die nicht zu widersprechende Thatsache hervorheben, die17.593
doch nicht Allen bekannt ist, nämlich die, daß die norwegische Nation17.594
mit Bezug hierauf sehr hoch in der Reihe der Nationen steht. Die17.595
Untersuchungen ergeben bei uns das hohe Lebensalter und den hohen17.596
Wuchs des Körpers.
17.597

Die Versicherungsgesellschaften arbeiten unter günstigen 17.598
Bedingungen bei uns. Unsere Soldaten gehören zu den größten der17.599
Welt. Die Frau erreicht durchschnittlich 159 Centimeter und wird17.600
hierin von Wenigen übertroffen. Unser Volk ist also großgeschlagen17.601
und der Einzelne lebt lange. Die Nation muß deshalb für 17.602
ungewöhnlich stark angesehen werden und daß solches auch für die17.603
Frau gilt, ist einleuchtend. Daß die Frau Zeugnis körperlicher17.604
Ausdauer bei uns abgelegt hat, davon zeugt unsere 17.605
Hebammeninstitution, indem gegenwärtig über 700 Frauen als solche in unserm17.606
Lande praktiziren und dies unter den schwierigsten Verhältnissen,17.607
die das Klima, anstrengende Reisen und schlechte Bezahlung mit sich17.608
führen. Da die Anzahl der Hebammen größer ist als die der17.609
Ärzte, resultieren hieraus selbstverständlich etwas kürzere Reisen für17.610
die Hebammen. Diese müssen ihrerseits dagegen mehr wachen und17.611
unangenehme, körperlich schwerere Arbeiten als die Ärzte 17.612
ausführen. Die Proben körperlicher Stärke, welche diese Frauen 17.613
ablegen müssen, stehen nicht hinter denen der Männer zurück.17.614
Wollte man bei uns vorschlagen, die Hebammen durch männliche17.615
Geburtshelfer zu ersetzen, würde dies wahrscheinlich Heiterkeit17.616
217.617

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verspüren als Ärzte zu wirken, sollte die Gesetzgebung nicht 17.576
zurückweisen. Es muß Jedermanns eigene Sache sein, sich seinen 17.577
Lebensberuf zu wählen.
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Was das Gefühlsleben betrifft, so birgt das medizinische 17.579
Studium, besonders in Betreff der Geschlechtssphäre Gefahren, aber17.580
diese dürften größer für Männer als für Frauen sein. Was 17.581
dagegen den Sinn betrifft, den man Takt nennt, so nehme ich an,17.582
daß die Frau hierin dem Manne überlegen ist und doch muß man17.583
dessen eingedenk sein, daß viele schwierige Familienverhältnisse von17.584
dem Takt abhängig werden können, mit dem der betreffende Arzt17.585
auftritt.
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Durchschnittlich besitzt der Mann in höherem Grade als die17.587
Frau ein ruhiges, kaltes Erwägen und Ermessen. Wenn aber eine17.588
Frau diese Eigenschaft in einem hohen Grade besitzt, muß man 17.589
derselben Gelegenheit geben sich zu versuchen. Ist sie tüchtig, wird17.590
man sie anwenden, ist sie aber untüchtig, wird man sie vergessen17.591
und sie verschwindet. Was schließlich die körperliche Stärke betrifft,17.592
so will ich die nicht zu widersprechende Thatsache hervorheben, die17.593
doch nicht Allen bekannt ist, nämlich die, daß die norwegische Nation17.594
mit Bezug hierauf sehr hoch in der Reihe der Nationen steht. Die17.595
Untersuchungen ergeben bei uns das hohe Lebensalter und den hohen17.596
Wuchs des Körpers.
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Die Versicherungsgesellschaften arbeiten unter günstigen 17.598
Bedingungen bei uns. Unsere Soldaten gehören zu den größten der17.599
Welt. Die Frau erreicht durchschnittlich 159 Centimeter und wird17.600
hierin von Wenigen übertroffen. Unser Volk ist also großgeschlagen17.601
und der Einzelne lebt lange. Die Nation muß deshalb für 17.602
ungewöhnlich stark angesehen werden und daß solches auch für die17.603
Frau gilt, ist einleuchtend. Daß die Frau Zeugnis körperlicher17.604
Ausdauer bei uns abgelegt hat, davon zeugt unsere 17.605
Hebammeninstitution, indem gegenwärtig über 700 Frauen als solche in unserm17.606
Lande praktiziren und dies unter den schwierigsten Verhältnissen,17.607
die das Klima, anstrengende Reisen und schlechte Bezahlung mit sich17.608
führen. Da die Anzahl der Hebammen größer ist als die der17.609
Ärzte, resultieren hieraus selbstverständlich etwas kürzere Reisen für17.610
die Hebammen. Diese müssen ihrerseits dagegen mehr wachen und17.611
unangenehme, körperlich schwerere Arbeiten als die Ärzte 17.612
ausführen. Die Proben körperlicher Stärke, welche diese Frauen 17.613
ablegen müssen, stehen nicht hinter denen der Männer zurück.17.614
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[17/0016] überschreiten. Diejenigen derselben, welche Lust und Neigung 17.575 verspüren als Ärzte zu wirken, sollte die Gesetzgebung nicht 17.576 zurückweisen. Es muß Jedermanns eigene Sache sein, sich seinen 17.577 Lebensberuf zu wählen. 17.578 Was das Gefühlsleben betrifft, so birgt das medizinische 17.579 Studium, besonders in Betreff der Geschlechtssphäre Gefahren, aber 17.580 diese dürften größer für Männer als für Frauen sein. Was 17.581 dagegen den Sinn betrifft, den man Takt nennt, so nehme ich an, 17.582 daß die Frau hierin dem Manne überlegen ist und doch muß man 17.583 dessen eingedenk sein, daß viele schwierige Familienverhältnisse von 17.584 dem Takt abhängig werden können, mit dem der betreffende Arzt 17.585 auftritt. 17.586 Durchschnittlich besitzt der Mann in höherem Grade als die 17.587 Frau ein ruhiges, kaltes Erwägen und Ermessen. Wenn aber eine 17.588 Frau diese Eigenschaft in einem hohen Grade besitzt, muß man 17.589 derselben Gelegenheit geben sich zu versuchen. Ist sie tüchtig, wird 17.590 man sie anwenden, ist sie aber untüchtig, wird man sie vergessen 17.591 und sie verschwindet. Was schließlich die körperliche Stärke betrifft, 17.592 so will ich die nicht zu widersprechende Thatsache hervorheben, die 17.593 doch nicht Allen bekannt ist, nämlich die, daß die norwegische Nation 17.594 mit Bezug hierauf sehr hoch in der Reihe der Nationen steht. Die 17.595 Untersuchungen ergeben bei uns das hohe Lebensalter und den hohen 17.596 Wuchs des Körpers. 17.597 Die Versicherungsgesellschaften arbeiten unter günstigen 17.598 Bedingungen bei uns. Unsere Soldaten gehören zu den größten der 17.599 Welt. Die Frau erreicht durchschnittlich 159 Centimeter und wird 17.600 hierin von Wenigen übertroffen. Unser Volk ist also großgeschlagen 17.601 und der Einzelne lebt lange. Die Nation muß deshalb für 17.602 ungewöhnlich stark angesehen werden und daß solches auch für die 17.603 Frau gilt, ist einleuchtend. Daß die Frau Zeugnis körperlicher 17.604 Ausdauer bei uns abgelegt hat, davon zeugt unsere 17.605 Hebammeninstitution, indem gegenwärtig über 700 Frauen als solche in unserm 17.606 Lande praktiziren und dies unter den schwierigsten Verhältnissen, 17.607 die das Klima, anstrengende Reisen und schlechte Bezahlung mit sich 17.608 führen. Da die Anzahl der Hebammen größer ist als die der 17.609 Ärzte, resultieren hieraus selbstverständlich etwas kürzere Reisen für 17.610 die Hebammen. Diese müssen ihrerseits dagegen mehr wachen und 17.611 unangenehme, körperlich schwerere Arbeiten als die Ärzte 17.612 ausführen. Die Proben körperlicher Stärke, welche diese Frauen 17.613 ablegen müssen, stehen nicht hinter denen der Männer zurück. 17.614 Wollte man bei uns vorschlagen, die Hebammen durch männliche 17.615 Geburtshelfer zu ersetzen, würde dies wahrscheinlich Heiterkeit 17.616 2 17.617

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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/16>, abgerufen am 19.04.2024.