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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL II.
zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachen-
kette und dass die Epoche, in der sich eine Einheit bildeten,
eine verhältnissmässig späte ist. Im Lautsystem erscheint bei
ihnen der eigenthümliche Spirant f, worin sie übereinstimmen
mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen helle-
nischen und hellenobarbarischen Stämmen so wie vom San-
skrit selbst. Die Aspiraten dagegen sind den Italikern ursprüng-
lich fremd, während sie von den Griechen und die härteren
davon auch von den Etruskern festgehalten wurden, und werden
bei jenen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch
die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die fei-
neren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen so weit möglich
beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschädigt
erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das
Zurückziehen des Accents und die dadurch hervorgerufene
Zerstörung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen
griechischen Stämmen und mit den Etruskern gemein, jedoch
in stärkerem Grad als jene, in geringerem als diese; die un-
mässige Zerstörung der Endungen im Umbrischen ist sicher
nicht in dem ursprünglichen Sprachgeist begründet, sondern
späterer tuskischer Einfluss, der sich in derselben Richtung
wenn gleich schwächer auch in Rom geltend gemacht hat.
Kurze Vocale fallen bei den italischen Sprachen deshalb im
Auslaut regelmässig, lange häufig ab; die schliessenden Con-
sonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im
Samnitischen mit Zähigkeit festgehalten worden, während das
Umbrische auch diese fallen lässt. Damit hängt es zusammen,
dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe
Spuren zurückgelassen hat und dafür ein eigenthümliches durch
Anfügung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner
dass der grösste Theil der Tempora durch Zusammensetzungen
mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, während den Grie-
chen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch
der Hülfszeitwörter grossentheils erspart. Während die ita-
lischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual ver-
zichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verloren
ging, durchgängig, grossentheils auch den Locativ erhalten.
Die strenge Logik der Italiker scheint keinen Grund gefunden
zu haben den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und
der Vielheit zu spalten; während man die in den Beugungen
sich ausdrückenden Wortbeziehungen mit grosser Schärfe fest-
hielt. Eigenthümlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd

ERSTES BUCH. KAPITEL II.
zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachen-
kette und daſs die Epoche, in der sich eine Einheit bildeten,
eine verhältniſsmäſsig späte ist. Im Lautsystem erscheint bei
ihnen der eigenthümliche Spirant f, worin sie übereinstimmen
mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen helle-
nischen und hellenobarbarischen Stämmen so wie vom San-
skrit selbst. Die Aspiraten dagegen sind den Italikern ursprüng-
lich fremd, während sie von den Griechen und die härteren
davon auch von den Etruskern festgehalten wurden, und werden
bei jenen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch
die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die fei-
neren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen so weit möglich
beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschädigt
erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das
Zurückziehen des Accents und die dadurch hervorgerufene
Zerstörung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen
griechischen Stämmen und mit den Etruskern gemein, jedoch
in stärkerem Grad als jene, in geringerem als diese; die un-
mäſsige Zerstörung der Endungen im Umbrischen ist sicher
nicht in dem ursprünglichen Sprachgeist begründet, sondern
späterer tuskischer Einfluſs, der sich in derselben Richtung
wenn gleich schwächer auch in Rom geltend gemacht hat.
Kurze Vocale fallen bei den italischen Sprachen deshalb im
Auslaut regelmäſsig, lange häufig ab; die schlieſsenden Con-
sonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im
Samnitischen mit Zähigkeit festgehalten worden, während das
Umbrische auch diese fallen läſst. Damit hängt es zusammen,
daſs die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe
Spuren zurückgelassen hat und dafür ein eigenthümliches durch
Anfügung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner
dass der grösste Theil der Tempora durch Zusammensetzungen
mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, während den Grie-
chen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch
der Hülfszeitwörter grossentheils erspart. Während die ita-
lischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual ver-
zichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verloren
ging, durchgängig, grossentheils auch den Locativ erhalten.
Die strenge Logik der Italiker scheint keinen Grund gefunden
zu haben den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und
der Vielheit zu spalten; während man die in den Beugungen
sich ausdrückenden Wortbeziehungen mit groſser Schärfe fest-
hielt. Eigenthümlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd

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[10/0024] ERSTES BUCH. KAPITEL II. zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachen- kette und daſs die Epoche, in der sich eine Einheit bildeten, eine verhältniſsmäſsig späte ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigenthümliche Spirant f, worin sie übereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen helle- nischen und hellenobarbarischen Stämmen so wie vom San- skrit selbst. Die Aspiraten dagegen sind den Italikern ursprüng- lich fremd, während sie von den Griechen und die härteren davon auch von den Etruskern festgehalten wurden, und werden bei jenen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die fei- neren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen so weit möglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschädigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurückziehen des Accents und die dadurch hervorgerufene Zerstörung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Stämmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in stärkerem Grad als jene, in geringerem als diese; die un- mäſsige Zerstörung der Endungen im Umbrischen ist sicher nicht in dem ursprünglichen Sprachgeist begründet, sondern späterer tuskischer Einfluſs, der sich in derselben Richtung wenn gleich schwächer auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vocale fallen bei den italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmäſsig, lange häufig ab; die schlieſsenden Con- sonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zähigkeit festgehalten worden, während das Umbrische auch diese fallen läſst. Damit hängt es zusammen, daſs die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurückgelassen hat und dafür ein eigenthümliches durch Anfügung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der grösste Theil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, während den Grie- chen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der Hülfszeitwörter grossentheils erspart. Während die ita- lischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual ver- zichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verloren ging, durchgängig, grossentheils auch den Locativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint keinen Grund gefunden zu haben den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten; während man die in den Beugungen sich ausdrückenden Wortbeziehungen mit groſser Schärfe fest- hielt. Eigenthümlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/24>, abgerufen am 29.03.2024.