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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Sitten und Bedürfnisse; oft Haß, Verfolgung und Unterdrückung.
Am schärfsten ausgeprägt und am schwersten verschmelzbar sind
gesellschaftliche Kreise dieser Art, wenn sie durch eine schon im
Aeußeren auffallende Raceverschiedenheit bedingt sind.

2. Die gemeinschaftliche Abstammung von ge-
schichtlich ausgezeichneten oder rechtlich bevor-
zugten Familien
. Sowohl der Stolz auf eine solche Her-
kunft, als die Bemühung zur Erhaltung der Bevorzugung können
zu einem sehr festen Bande unter den Betheiligten und zu einer
schroffen Absonderung derselben von allen Plebejern führen.
Hieran knüpfen sich dann leicht noch eigene Sitten, vorzugs-
weiser Betrieb bestimmter Lebensbeschäftigungen, vielfache gegen-
seitige Verwandtschaft. Ein solcher gesellschaftlicher Kreis mag
sich aber über die Grenzen Eines Staates hinaus erstrecken,
wenn die geschichtlichen und die besonderen rechtlichen Verhält-
nisse in solcher Ausdehnung und in wesentlicher Gleichartigkeit
vorliegen, somit die Gleichheit der Interessen sowie der geistigen
und äußeren Zustände eine Solidarität auch unter weit aus-
einander wohnenden Genossen erzeugt.

3. Die gemeinschaftliche persönliche Bedeutung.
Die durch Bildung, genügenden Besitz und staatlichen Einfluß
an der Spitze einer Bevölkerung Stehenden haben, auch wenn
keine bevorzugte Geburt dazu kömmt, eine gemeinsame Stellung
und gleiche natürliche Interessen gegenüber von der großen
Menge. So die Aufrechterhaltung feinerer Sitte; die Bewah-
rung des natürlichen Einflusses für Begabung und Bildung;
das Bestehen höherer Culturanstalten, u. s. w. Dieser Mittel-
punkt ist naturgemäß und berechtigt; allein er ist weniger fest
und zu abgesonderter formeller Gestaltung lange nicht so geeignet,
als z. B. die Geburtsaristokratie, dieß aber wegen Unbestimmtheit
der Gränzen der Genossenschaft und wegen Verschiedenheit der
Ansprüche. Es sind also die Optimaten, die Gentry, die Hono-

Sitten und Bedürfniſſe; oft Haß, Verfolgung und Unterdrückung.
Am ſchärfſten ausgeprägt und am ſchwerſten verſchmelzbar ſind
geſellſchaftliche Kreiſe dieſer Art, wenn ſie durch eine ſchon im
Aeußeren auffallende Raceverſchiedenheit bedingt ſind.

2. Die gemeinſchaftliche Abſtammung von ge-
ſchichtlich ausgezeichneten oder rechtlich bevor-
zugten Familien
. Sowohl der Stolz auf eine ſolche Her-
kunft, als die Bemühung zur Erhaltung der Bevorzugung können
zu einem ſehr feſten Bande unter den Betheiligten und zu einer
ſchroffen Abſonderung derſelben von allen Plebejern führen.
Hieran knüpfen ſich dann leicht noch eigene Sitten, vorzugs-
weiſer Betrieb beſtimmter Lebensbeſchäftigungen, vielfache gegen-
ſeitige Verwandtſchaft. Ein ſolcher geſellſchaftlicher Kreis mag
ſich aber über die Grenzen Eines Staates hinaus erſtrecken,
wenn die geſchichtlichen und die beſonderen rechtlichen Verhält-
niſſe in ſolcher Ausdehnung und in weſentlicher Gleichartigkeit
vorliegen, ſomit die Gleichheit der Intereſſen ſowie der geiſtigen
und äußeren Zuſtände eine Solidarität auch unter weit aus-
einander wohnenden Genoſſen erzeugt.

3. Die gemeinſchaftliche perſönliche Bedeutung.
Die durch Bildung, genügenden Beſitz und ſtaatlichen Einfluß
an der Spitze einer Bevölkerung Stehenden haben, auch wenn
keine bevorzugte Geburt dazu kömmt, eine gemeinſame Stellung
und gleiche natürliche Intereſſen gegenüber von der großen
Menge. So die Aufrechterhaltung feinerer Sitte; die Bewah-
rung des natürlichen Einfluſſes für Begabung und Bildung;
das Beſtehen höherer Culturanſtalten, u. ſ. w. Dieſer Mittel-
punkt iſt naturgemäß und berechtigt; allein er iſt weniger feſt
und zu abgeſonderter formeller Geſtaltung lange nicht ſo geeignet,
als z. B. die Geburtsariſtokratie, dieß aber wegen Unbeſtimmtheit
der Gränzen der Genoſſenſchaft und wegen Verſchiedenheit der
Anſprüche. Es ſind alſo die Optimaten, die Gentry, die Hono-

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[21/0035] Sitten und Bedürfniſſe; oft Haß, Verfolgung und Unterdrückung. Am ſchärfſten ausgeprägt und am ſchwerſten verſchmelzbar ſind geſellſchaftliche Kreiſe dieſer Art, wenn ſie durch eine ſchon im Aeußeren auffallende Raceverſchiedenheit bedingt ſind. 2. Die gemeinſchaftliche Abſtammung von ge- ſchichtlich ausgezeichneten oder rechtlich bevor- zugten Familien. Sowohl der Stolz auf eine ſolche Her- kunft, als die Bemühung zur Erhaltung der Bevorzugung können zu einem ſehr feſten Bande unter den Betheiligten und zu einer ſchroffen Abſonderung derſelben von allen Plebejern führen. Hieran knüpfen ſich dann leicht noch eigene Sitten, vorzugs- weiſer Betrieb beſtimmter Lebensbeſchäftigungen, vielfache gegen- ſeitige Verwandtſchaft. Ein ſolcher geſellſchaftlicher Kreis mag ſich aber über die Grenzen Eines Staates hinaus erſtrecken, wenn die geſchichtlichen und die beſonderen rechtlichen Verhält- niſſe in ſolcher Ausdehnung und in weſentlicher Gleichartigkeit vorliegen, ſomit die Gleichheit der Intereſſen ſowie der geiſtigen und äußeren Zuſtände eine Solidarität auch unter weit aus- einander wohnenden Genoſſen erzeugt. 3. Die gemeinſchaftliche perſönliche Bedeutung. Die durch Bildung, genügenden Beſitz und ſtaatlichen Einfluß an der Spitze einer Bevölkerung Stehenden haben, auch wenn keine bevorzugte Geburt dazu kömmt, eine gemeinſame Stellung und gleiche natürliche Intereſſen gegenüber von der großen Menge. So die Aufrechterhaltung feinerer Sitte; die Bewah- rung des natürlichen Einfluſſes für Begabung und Bildung; das Beſtehen höherer Culturanſtalten, u. ſ. w. Dieſer Mittel- punkt iſt naturgemäß und berechtigt; allein er iſt weniger feſt und zu abgeſonderter formeller Geſtaltung lange nicht ſo geeignet, als z. B. die Geburtsariſtokratie, dieß aber wegen Unbeſtimmtheit der Gränzen der Genoſſenſchaft und wegen Verſchiedenheit der Anſprüche. Es ſind alſo die Optimaten, die Gentry, die Hono-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/35>, abgerufen am 24.04.2024.