Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Also soll der handelnde Theil der Menschen,
so einzurichten, wie er es sich in seinem Lehrstuhle bey
kalter Ueberlegung vorgenommen hatte.

Noch eins; zerlegen Sie einmal das componere
furtim,
und untersuchen, woraus die Composition be-
steht; nicht wahr, Sie finden nichts wie Lügen und Be-
trug? Man läßt scheinen was man nicht hat, und ver-
birgt was man nicht sehen lassen darf. Und dennoch
wird der praktische Mann die holde Schöne wahr und
tugendhaft finden, und des moralischen Anatomisten la-
chen, der ihm solche theilweise unwahr und fehlerhaft
zeigen kann. Eben so wird der durch den ganzen Ein-
druck der Schöpfung belehrte Bauer immer des meta-
physischen Atheisten lachen, und Gott da erkennen, wo
dieser ihn nach dem Maaße verlieret, als er trennet, thei-
let, und ins unendliche geht. Unter jenen hat nie einer
an seiner eignen Existenz und seiner Freyheit gezweifelt;
und es ist eine erstaunende Beruhigung, daß die Wür-
kung des Ganzen, Glaube an Gott ist, und der Zwei-
fel blos aus einem sublimirten Theilgen aufsteigt.

Ein strenger Moralist wird niemals ein guter Minister
werden, weil er immer sein Verhalten mehr nach abstrahir-
ten Regeln, als nach Totalbegriffen einrichten wird; und
doch ziehen manche Fürsten bey Besetzung der Ministe-
rialstellen, den regelmäßig gelehrten dem praktischen
Manne vor. Gewis würden sie dadurch zu tausend Un-
gerechtigkeiten Gelegenheit geben, die jeder natürlicher
Weise begeht, der nach seinem kurzen abstrakten Maaß-
stab, eine menschliche Handlung abmißt, wenn nicht zum
Glück die mehrsten abgezognen Regeln in dem Augen-
blick der Handlung und Entscheidung, dem mächtigen
Totaleindrücke weichen müßten. Jn den mehrsten Län-
dern werden die Verbrecher noch nach abstrahirten Ge-

setzen

Alſo ſoll der handelnde Theil der Menſchen,
ſo einzurichten, wie er es ſich in ſeinem Lehrſtuhle bey
kalter Ueberlegung vorgenommen hatte.

Noch eins; zerlegen Sie einmal das componere
furtim,
und unterſuchen, woraus die Compoſition be-
ſteht; nicht wahr, Sie finden nichts wie Luͤgen und Be-
trug? Man laͤßt ſcheinen was man nicht hat, und ver-
birgt was man nicht ſehen laſſen darf. Und dennoch
wird der praktiſche Mann die holde Schoͤne wahr und
tugendhaft finden, und des moraliſchen Anatomiſten la-
chen, der ihm ſolche theilweiſe unwahr und fehlerhaft
zeigen kann. Eben ſo wird der durch den ganzen Ein-
druck der Schoͤpfung belehrte Bauer immer des meta-
phyſiſchen Atheiſten lachen, und Gott da erkennen, wo
dieſer ihn nach dem Maaße verlieret, als er trennet, thei-
let, und ins unendliche geht. Unter jenen hat nie einer
an ſeiner eignen Exiſtenz und ſeiner Freyheit gezweifelt;
und es iſt eine erſtaunende Beruhigung, daß die Wuͤr-
kung des Ganzen, Glaube an Gott iſt, und der Zwei-
fel blos aus einem ſublimirten Theilgen aufſteigt.

Ein ſtrenger Moraliſt wird niemals ein guter Miniſter
werden, weil er immer ſein Verhalten mehr nach abſtrahir-
ten Regeln, als nach Totalbegriffen einrichten wird; und
doch ziehen manche Fuͤrſten bey Beſetzung der Miniſte-
rialſtellen, den regelmaͤßig gelehrten dem praktiſchen
Manne vor. Gewis wuͤrden ſie dadurch zu tauſend Un-
gerechtigkeiten Gelegenheit geben, die jeder natuͤrlicher
Weiſe begeht, der nach ſeinem kurzen abſtrakten Maaß-
ſtab, eine menſchliche Handlung abmißt, wenn nicht zum
Gluͤck die mehrſten abgezognen Regeln in dem Augen-
blick der Handlung und Entſcheidung, dem maͤchtigen
Totaleindruͤcke weichen muͤßten. Jn den mehrſten Laͤn-
dern werden die Verbrecher noch nach abſtrahirten Ge-

ſetzen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0038" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Al&#x017F;o &#x017F;oll der handelnde Theil der Men&#x017F;chen,</hi></fw><lb/>
&#x017F;o einzurichten, wie er es &#x017F;ich in &#x017F;einem Lehr&#x017F;tuhle bey<lb/>
kalter Ueberlegung vorgenommen hatte.</p><lb/>
          <p>Noch eins; zerlegen Sie einmal das <hi rendition="#aq">componere<lb/>
furtim,</hi> und unter&#x017F;uchen, woraus die Compo&#x017F;ition be-<lb/>
&#x017F;teht; nicht wahr, Sie finden nichts wie Lu&#x0364;gen und Be-<lb/>
trug? Man la&#x0364;ßt &#x017F;cheinen was man nicht hat, und ver-<lb/>
birgt was man nicht &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en darf. Und dennoch<lb/>
wird der prakti&#x017F;che Mann die holde Scho&#x0364;ne wahr und<lb/>
tugendhaft finden, und des morali&#x017F;chen Anatomi&#x017F;ten la-<lb/>
chen, der ihm &#x017F;olche theilwei&#x017F;e unwahr und fehlerhaft<lb/>
zeigen kann. Eben &#x017F;o wird der durch den ganzen Ein-<lb/>
druck der Scho&#x0364;pfung belehrte Bauer immer des meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Athei&#x017F;ten lachen, und Gott da erkennen, wo<lb/>
die&#x017F;er ihn nach dem Maaße verlieret, als er trennet, thei-<lb/>
let, und ins unendliche geht. Unter jenen hat nie einer<lb/>
an &#x017F;einer eignen Exi&#x017F;tenz und &#x017F;einer Freyheit gezweifelt;<lb/>
und es i&#x017F;t eine er&#x017F;taunende Beruhigung, daß die Wu&#x0364;r-<lb/>
kung des Ganzen, Glaube an Gott i&#x017F;t, und der Zwei-<lb/>
fel blos aus einem &#x017F;ublimirten Theilgen auf&#x017F;teigt.</p><lb/>
          <p>Ein &#x017F;trenger Morali&#x017F;t wird niemals ein guter Mini&#x017F;ter<lb/>
werden, weil er immer &#x017F;ein Verhalten mehr nach ab&#x017F;trahir-<lb/>
ten Regeln, als nach Totalbegriffen einrichten wird; und<lb/>
doch ziehen manche Fu&#x0364;r&#x017F;ten bey Be&#x017F;etzung der Mini&#x017F;te-<lb/>
rial&#x017F;tellen, den regelma&#x0364;ßig gelehrten dem prakti&#x017F;chen<lb/>
Manne vor. Gewis wu&#x0364;rden &#x017F;ie dadurch zu tau&#x017F;end Un-<lb/>
gerechtigkeiten Gelegenheit geben, die jeder natu&#x0364;rlicher<lb/>
Wei&#x017F;e begeht, der nach &#x017F;einem kurzen ab&#x017F;trakten Maaß-<lb/>
&#x017F;tab, eine men&#x017F;chliche Handlung abmißt, wenn nicht zum<lb/>
Glu&#x0364;ck die mehr&#x017F;ten abgezognen Regeln in dem Augen-<lb/>
blick der Handlung und Ent&#x017F;cheidung, dem ma&#x0364;chtigen<lb/>
Totaleindru&#x0364;cke weichen mu&#x0364;ßten. Jn den mehr&#x017F;ten La&#x0364;n-<lb/>
dern werden die Verbrecher noch nach ab&#x017F;trahirten Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;etzen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0038] Alſo ſoll der handelnde Theil der Menſchen, ſo einzurichten, wie er es ſich in ſeinem Lehrſtuhle bey kalter Ueberlegung vorgenommen hatte. Noch eins; zerlegen Sie einmal das componere furtim, und unterſuchen, woraus die Compoſition be- ſteht; nicht wahr, Sie finden nichts wie Luͤgen und Be- trug? Man laͤßt ſcheinen was man nicht hat, und ver- birgt was man nicht ſehen laſſen darf. Und dennoch wird der praktiſche Mann die holde Schoͤne wahr und tugendhaft finden, und des moraliſchen Anatomiſten la- chen, der ihm ſolche theilweiſe unwahr und fehlerhaft zeigen kann. Eben ſo wird der durch den ganzen Ein- druck der Schoͤpfung belehrte Bauer immer des meta- phyſiſchen Atheiſten lachen, und Gott da erkennen, wo dieſer ihn nach dem Maaße verlieret, als er trennet, thei- let, und ins unendliche geht. Unter jenen hat nie einer an ſeiner eignen Exiſtenz und ſeiner Freyheit gezweifelt; und es iſt eine erſtaunende Beruhigung, daß die Wuͤr- kung des Ganzen, Glaube an Gott iſt, und der Zwei- fel blos aus einem ſublimirten Theilgen aufſteigt. Ein ſtrenger Moraliſt wird niemals ein guter Miniſter werden, weil er immer ſein Verhalten mehr nach abſtrahir- ten Regeln, als nach Totalbegriffen einrichten wird; und doch ziehen manche Fuͤrſten bey Beſetzung der Miniſte- rialſtellen, den regelmaͤßig gelehrten dem praktiſchen Manne vor. Gewis wuͤrden ſie dadurch zu tauſend Un- gerechtigkeiten Gelegenheit geben, die jeder natuͤrlicher Weiſe begeht, der nach ſeinem kurzen abſtrakten Maaß- ſtab, eine menſchliche Handlung abmißt, wenn nicht zum Gluͤck die mehrſten abgezognen Regeln in dem Augen- blick der Handlung und Entſcheidung, dem maͤchtigen Totaleindruͤcke weichen muͤßten. Jn den mehrſten Laͤn- dern werden die Verbrecher noch nach abſtrahirten Ge- ſetzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/38
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/38>, abgerufen am 23.04.2024.