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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ueber das Kunstgefühl.
jenigen erwarten, der meinen Geschmack tadeln wird.
So will ich mir in jeder Art des Rheinweins nicht allein
den größten Grad der Güte, sondern auch, weil sie doch
von Kunstidealen sprechen, das möglichst vollkommene
Weinideal in Riedesheimer, Hochheimer, Laubenheimer
und kurz in allen unsern Weinen denken, ich will so gut als
wenn ich sie würklich getrunken hätte, die Weine schmecken,
die aus unsern Trauben vom Cap an bis in Westphalen
gezogen werden können, und wenn das nicht Kunstgefühl
ist: so weiß ich nicht was es sey.

Die ganze Gesellschaft lachte immerfort über meinen
Eyfer, und wiederholte das Wort: wenn er das noch
hätte und dieses nicht.
Aber ich störte mich daran nicht,
und behauptete, daß es das einzige Mittel wäre, des-
sen sich alle Kunstverständige, zu verstehen von denen, die
durch den Keller gezogen würden, bedienten, um zu
hohen Jdealen der Vollkommenheit zu gelangen, und
daß derjenige, welcher nicht lange die Keller besucht, und
fleißig geschmeckt hatte, nie zu einem so festen und rich-
tigen Weingeschmack gelangen sollte.

So wie endlich der Lärm sich zu einer ruhigen Be-
trachtung herabstimmte, fiengen einige an auf meine
Seite zu treten; aber wie die andern darauf drungen,
daß man um Geschmack zu haben, nach Gründen billi-
gen oder verwerfen müßte, verstummeten meine Freun-
de wieder.

Sackerloth! rief ich nach Gründen? Nach Grün-
den?
Freylich nach Gründen, aber doch wohl nicht nach
solchen, die ihr Herrn in eurer armseligen Sprache aus-
drücken könnet. Lavater hat auch Gründe angegeben,
um die Physionomien zu erkennen, und die guten von
den schlechten zu unterscheiden. Aber beym Element,
wann ich einem Kerl ins Gesichte schaue: so will ich tau-

sendmal

Ueber das Kunſtgefuͤhl.
jenigen erwarten, der meinen Geſchmack tadeln wird.
So will ich mir in jeder Art des Rheinweins nicht allein
den groͤßten Grad der Guͤte, ſondern auch, weil ſie doch
von Kunſtidealen ſprechen, das moͤglichſt vollkommene
Weinideal in Riedesheimer, Hochheimer, Laubenheimer
und kurz in allen unſern Weinen denken, ich will ſo gut als
wenn ich ſie wuͤrklich getrunken haͤtte, die Weine ſchmecken,
die aus unſern Trauben vom Cap an bis in Weſtphalen
gezogen werden koͤnnen, und wenn das nicht Kunſtgefuͤhl
iſt: ſo weiß ich nicht was es ſey.

Die ganze Geſellſchaft lachte immerfort uͤber meinen
Eyfer, und wiederholte das Wort: wenn er das noch
haͤtte und dieſes nicht.
Aber ich ſtoͤrte mich daran nicht,
und behauptete, daß es das einzige Mittel waͤre, deſ-
ſen ſich alle Kunſtverſtaͤndige, zu verſtehen von denen, die
durch den Keller gezogen wuͤrden, bedienten, um zu
hohen Jdealen der Vollkommenheit zu gelangen, und
daß derjenige, welcher nicht lange die Keller beſucht, und
fleißig geſchmeckt hatte, nie zu einem ſo feſten und rich-
tigen Weingeſchmack gelangen ſollte.

So wie endlich der Laͤrm ſich zu einer ruhigen Be-
trachtung herabſtimmte, fiengen einige an auf meine
Seite zu treten; aber wie die andern darauf drungen,
daß man um Geſchmack zu haben, nach Gruͤnden billi-
gen oder verwerfen muͤßte, verſtummeten meine Freun-
de wieder.

Sackerloth! rief ich nach Gruͤnden? Nach Gruͤn-
den?
Freylich nach Gruͤnden, aber doch wohl nicht nach
ſolchen, die ihr Herrn in eurer armſeligen Sprache aus-
druͤcken koͤnnet. Lavater hat auch Gruͤnde angegeben,
um die Phyſionomien zu erkennen, und die guten von
den ſchlechten zu unterſcheiden. Aber beym Element,
wann ich einem Kerl ins Geſichte ſchaue: ſo will ich tau-

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[10/0022] Ueber das Kunſtgefuͤhl. jenigen erwarten, der meinen Geſchmack tadeln wird. So will ich mir in jeder Art des Rheinweins nicht allein den groͤßten Grad der Guͤte, ſondern auch, weil ſie doch von Kunſtidealen ſprechen, das moͤglichſt vollkommene Weinideal in Riedesheimer, Hochheimer, Laubenheimer und kurz in allen unſern Weinen denken, ich will ſo gut als wenn ich ſie wuͤrklich getrunken haͤtte, die Weine ſchmecken, die aus unſern Trauben vom Cap an bis in Weſtphalen gezogen werden koͤnnen, und wenn das nicht Kunſtgefuͤhl iſt: ſo weiß ich nicht was es ſey. Die ganze Geſellſchaft lachte immerfort uͤber meinen Eyfer, und wiederholte das Wort: wenn er das noch haͤtte und dieſes nicht. Aber ich ſtoͤrte mich daran nicht, und behauptete, daß es das einzige Mittel waͤre, deſ- ſen ſich alle Kunſtverſtaͤndige, zu verſtehen von denen, die durch den Keller gezogen wuͤrden, bedienten, um zu hohen Jdealen der Vollkommenheit zu gelangen, und daß derjenige, welcher nicht lange die Keller beſucht, und fleißig geſchmeckt hatte, nie zu einem ſo feſten und rich- tigen Weingeſchmack gelangen ſollte. So wie endlich der Laͤrm ſich zu einer ruhigen Be- trachtung herabſtimmte, fiengen einige an auf meine Seite zu treten; aber wie die andern darauf drungen, daß man um Geſchmack zu haben, nach Gruͤnden billi- gen oder verwerfen muͤßte, verſtummeten meine Freun- de wieder. Sackerloth! rief ich nach Gruͤnden? Nach Gruͤn- den? Freylich nach Gruͤnden, aber doch wohl nicht nach ſolchen, die ihr Herrn in eurer armſeligen Sprache aus- druͤcken koͤnnet. Lavater hat auch Gruͤnde angegeben, um die Phyſionomien zu erkennen, und die guten von den ſchlechten zu unterſcheiden. Aber beym Element, wann ich einem Kerl ins Geſichte ſchaue: ſo will ich tau- ſendmal

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/22>, abgerufen am 28.03.2024.