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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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seiner Empfindungen gelange.
und viele Uebung, was man entfernen oder vorrücken,
stark oder schwach ausdrücken soll. Das mehrste hängt
jedoch hiebey von der Unterordnung in der Gruppirung
ab, und wenn Sie hierinn glücklich uud richtig gewesen
sind: so wird die Verschiedenheit des Standorts, wor-
aus die Leser, wofür Sie schreiben, ihr Gemählde an-
sehen, nur eine allgemeine Ueberlegung verdienen.

Unter Millionen Menschen ist vielleicht nur ein ein-
ziger, der seine Seele so zu pressen weiß, daß sie alles
hergiebt, was sie hergeben kann. Viele, sehr viele ha-
ben eine Menge von Eindrücken, sie mögen nun von der
Kunst oder von der Natur herrühren, bey sich verborgen,
ohne daß sie es selbst wissen; man muß die Seele in eine
Situation versetzen, um sich zu rühren, man muß sie er-
hitzen, um sich aufzuschließen, und zur Schwärmerey
bringen, um alles aufzuopfern. Horgz empfohl den Wein
als eine gelinde Tortur der Seele, andre halten die Liebe
zum Gegenstande, für mächtiger, oder den Durst zu Ent-
deckungen: jeder muß hierinn sich selbst prüfen. Rous-
seau
gab nie etwas von den ersten Aufwallungen seiner
Seele; wer nur diese und nichts mehr giebt, der trägt
nur solche Wahrheiten vor, die den Menschen insgemein
auffallen und jedem bekannt sind. Er hingegen arbeitete
oft zehnmal auf die Art, wie ich es Jhnen vorgeschlagen
habe, und hörte nicht auf so lange noch etwas zu gewin-
nen übrig war. Wenn dieses ein großer Mann thut:
so kann man so ziemlich sicher seyn, daß er weiter vorge-
drungen sey, als irgend ein andrer vor ihm. So oft
Sie sich mächtiger in der Empfindung als im Ausdruck
fühlen, so glauben sie nur dreist, ihre Seele sey faul,
sie wolle nicht alles hervorbringen. Greifen Sie dieselbe
an, wenn Sie fühlen, daß es Zeit ist, und lassen sie
arbeiten. Alle Jdeen die ihr jemals eingedruckt sind und

die
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ſeiner Empfindungen gelange.
und viele Uebung, was man entfernen oder vorruͤcken,
ſtark oder ſchwach ausdruͤcken ſoll. Das mehrſte haͤngt
jedoch hiebey von der Unterordnung in der Gruppirung
ab, und wenn Sie hierinn gluͤcklich uud richtig geweſen
ſind: ſo wird die Verſchiedenheit des Standorts, wor-
aus die Leſer, wofuͤr Sie ſchreiben, ihr Gemaͤhlde an-
ſehen, nur eine allgemeine Ueberlegung verdienen.

Unter Millionen Menſchen iſt vielleicht nur ein ein-
ziger, der ſeine Seele ſo zu preſſen weiß, daß ſie alles
hergiebt, was ſie hergeben kann. Viele, ſehr viele ha-
ben eine Menge von Eindruͤcken, ſie moͤgen nun von der
Kunſt oder von der Natur herruͤhren, bey ſich verborgen,
ohne daß ſie es ſelbſt wiſſen; man muß die Seele in eine
Situation verſetzen, um ſich zu ruͤhren, man muß ſie er-
hitzen, um ſich aufzuſchließen, und zur Schwaͤrmerey
bringen, um alles aufzuopfern. Horgz empfohl den Wein
als eine gelinde Tortur der Seele, andre halten die Liebe
zum Gegenſtande, fuͤr maͤchtiger, oder den Durſt zu Ent-
deckungen: jeder muß hierinn ſich ſelbſt pruͤfen. Rouſ-
ſeau
gab nie etwas von den erſten Aufwallungen ſeiner
Seele; wer nur dieſe und nichts mehr giebt, der traͤgt
nur ſolche Wahrheiten vor, die den Menſchen insgemein
auffallen und jedem bekannt ſind. Er hingegen arbeitete
oft zehnmal auf die Art, wie ich es Jhnen vorgeſchlagen
habe, und hoͤrte nicht auf ſo lange noch etwas zu gewin-
nen uͤbrig war. Wenn dieſes ein großer Mann thut:
ſo kann man ſo ziemlich ſicher ſeyn, daß er weiter vorge-
drungen ſey, als irgend ein andrer vor ihm. So oft
Sie ſich maͤchtiger in der Empfindung als im Ausdruck
fuͤhlen, ſo glauben ſie nur dreiſt, ihre Seele ſey faul,
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[7/0019] ſeiner Empfindungen gelange. und viele Uebung, was man entfernen oder vorruͤcken, ſtark oder ſchwach ausdruͤcken ſoll. Das mehrſte haͤngt jedoch hiebey von der Unterordnung in der Gruppirung ab, und wenn Sie hierinn gluͤcklich uud richtig geweſen ſind: ſo wird die Verſchiedenheit des Standorts, wor- aus die Leſer, wofuͤr Sie ſchreiben, ihr Gemaͤhlde an- ſehen, nur eine allgemeine Ueberlegung verdienen. Unter Millionen Menſchen iſt vielleicht nur ein ein- ziger, der ſeine Seele ſo zu preſſen weiß, daß ſie alles hergiebt, was ſie hergeben kann. Viele, ſehr viele ha- ben eine Menge von Eindruͤcken, ſie moͤgen nun von der Kunſt oder von der Natur herruͤhren, bey ſich verborgen, ohne daß ſie es ſelbſt wiſſen; man muß die Seele in eine Situation verſetzen, um ſich zu ruͤhren, man muß ſie er- hitzen, um ſich aufzuſchließen, und zur Schwaͤrmerey bringen, um alles aufzuopfern. Horgz empfohl den Wein als eine gelinde Tortur der Seele, andre halten die Liebe zum Gegenſtande, fuͤr maͤchtiger, oder den Durſt zu Ent- deckungen: jeder muß hierinn ſich ſelbſt pruͤfen. Rouſ- ſeau gab nie etwas von den erſten Aufwallungen ſeiner Seele; wer nur dieſe und nichts mehr giebt, der traͤgt nur ſolche Wahrheiten vor, die den Menſchen insgemein auffallen und jedem bekannt ſind. Er hingegen arbeitete oft zehnmal auf die Art, wie ich es Jhnen vorgeſchlagen habe, und hoͤrte nicht auf ſo lange noch etwas zu gewin- nen uͤbrig war. Wenn dieſes ein großer Mann thut: ſo kann man ſo ziemlich ſicher ſeyn, daß er weiter vorge- drungen ſey, als irgend ein andrer vor ihm. So oft Sie ſich maͤchtiger in der Empfindung als im Ausdruck fuͤhlen, ſo glauben ſie nur dreiſt, ihre Seele ſey faul, ſie wolle nicht alles hervorbringen. Greifen Sie dieſelbe an, wenn Sie fuͤhlen, daß es Zeit iſt, und laſſen ſie arbeiten. Alle Jdeen die ihr jemals eingedruckt ſind und die A 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/19>, abgerufen am 29.03.2024.