Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold
und Ferdinand reis'ten indessen auch ab, und doppelt
und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geschärft,
das Gleichgewicht seines Wesen vollkommen herzustellen.
Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erste Idee
während der Gefangenschaft bei ihm entstanden war,
lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh-
rung mit einer Lust, mit einem Selbstvertrauen, der-
gleichen er nur in den glücklichsten Jahren seines ersten
Strebens gehabt zu haben sich erinnerte. Dennoch
mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer
völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward
verdrießlich, er stellte die Arbeit unwillig zurück, er
wußte nicht, was ihn hindere.

Eines Morgens bringt man ihm die Schlüssel zu
den Zimmern des Schauspielers. Dieser hatte sie bei
seiner Abreise einem dritten Freunde mit dem ausdrück-
lichen Wunsche hinterlassen, daß er sie erst nach Verfluß
einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann
nicht säumen möge, die Zimmer aufzuschließen und was
darin sich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils
zu besorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß
der sämmtlichen Effekten, nebst Angabe ihrer Bestim-
mung. Er stuzte nicht wenig über diese sonderbare
Kommission und befragte jene Mittelsperson mit eini-
ger Aengstlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten
hätte? Der junge Mensch aber wußte nicht viel weiter
Bescheid zu geben und entfernte sich bald. Sogleich

Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold
und Ferdinand reiſ’ten indeſſen auch ab, und doppelt
und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geſchärft,
das Gleichgewicht ſeines Weſen vollkommen herzuſtellen.
Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erſte Idee
während der Gefangenſchaft bei ihm entſtanden war,
lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh-
rung mit einer Luſt, mit einem Selbſtvertrauen, der-
gleichen er nur in den glücklichſten Jahren ſeines erſten
Strebens gehabt zu haben ſich erinnerte. Dennoch
mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer
völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward
verdrießlich, er ſtellte die Arbeit unwillig zurück, er
wußte nicht, was ihn hindere.

Eines Morgens bringt man ihm die Schlüſſel zu
den Zimmern des Schauſpielers. Dieſer hatte ſie bei
ſeiner Abreiſe einem dritten Freunde mit dem ausdrück-
lichen Wunſche hinterlaſſen, daß er ſie erſt nach Verfluß
einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann
nicht ſäumen möge, die Zimmer aufzuſchließen und was
darin ſich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils
zu beſorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß
der ſämmtlichen Effekten, nebſt Angabe ihrer Beſtim-
mung. Er ſtuzte nicht wenig über dieſe ſonderbare
Kommiſſion und befragte jene Mittelsperſon mit eini-
ger Aengſtlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten
hätte? Der junge Menſch aber wußte nicht viel weiter
Beſcheid zu geben und entfernte ſich bald. Sogleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="349"/>
Veränderung entbehre. Die beiden Freunde <hi rendition="#g">Leopold</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Ferdinand</hi> rei&#x017F;&#x2019;ten inde&#x017F;&#x017F;en auch ab, und doppelt<lb/>
und dreifach ward jezt des Malers Verlangen ge&#x017F;chärft,<lb/>
das Gleichgewicht &#x017F;eines We&#x017F;en vollkommen herzu&#x017F;tellen.<lb/>
Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die er&#x017F;te Idee<lb/>
während der Gefangen&#x017F;chaft bei ihm ent&#x017F;tanden war,<lb/>
lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh-<lb/>
rung mit einer Lu&#x017F;t, mit einem Selb&#x017F;tvertrauen, der-<lb/>
gleichen er nur in den glücklich&#x017F;ten Jahren &#x017F;eines er&#x017F;ten<lb/>
Strebens gehabt zu haben &#x017F;ich erinnerte. Dennoch<lb/>
mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer<lb/>
völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward<lb/>
verdrießlich, er &#x017F;tellte die Arbeit unwillig zurück, er<lb/>
wußte nicht, was ihn hindere.</p><lb/>
          <p>Eines Morgens bringt man ihm die Schlü&#x017F;&#x017F;el zu<lb/>
den Zimmern des Schau&#x017F;pielers. Die&#x017F;er hatte &#x017F;ie bei<lb/>
&#x017F;einer Abrei&#x017F;e einem dritten Freunde mit dem ausdrück-<lb/>
lichen Wun&#x017F;che hinterla&#x017F;&#x017F;en, daß er &#x017F;ie er&#x017F;t nach Verfluß<lb/>
einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann<lb/>
nicht &#x017F;äumen möge, die Zimmer aufzu&#x017F;chließen und was<lb/>
darin &#x017F;ich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils<lb/>
zu be&#x017F;orgen. Zugleich erhielt <hi rendition="#g">Nolten</hi> ein Verzeichniß<lb/>
der &#x017F;ämmtlichen Effekten, neb&#x017F;t Angabe ihrer Be&#x017F;tim-<lb/>
mung. Er &#x017F;tuzte nicht wenig über die&#x017F;e &#x017F;onderbare<lb/>
Kommi&#x017F;&#x017F;ion und befragte jene Mittelsper&#x017F;on mit eini-<lb/>
ger Aeng&#x017F;tlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten<lb/>
hätte? Der junge Men&#x017F;ch aber wußte nicht viel weiter<lb/>
Be&#x017F;cheid zu geben und entfernte &#x017F;ich bald. Sogleich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0035] Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold und Ferdinand reiſ’ten indeſſen auch ab, und doppelt und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geſchärft, das Gleichgewicht ſeines Weſen vollkommen herzuſtellen. Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erſte Idee während der Gefangenſchaft bei ihm entſtanden war, lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh- rung mit einer Luſt, mit einem Selbſtvertrauen, der- gleichen er nur in den glücklichſten Jahren ſeines erſten Strebens gehabt zu haben ſich erinnerte. Dennoch mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward verdrießlich, er ſtellte die Arbeit unwillig zurück, er wußte nicht, was ihn hindere. Eines Morgens bringt man ihm die Schlüſſel zu den Zimmern des Schauſpielers. Dieſer hatte ſie bei ſeiner Abreiſe einem dritten Freunde mit dem ausdrück- lichen Wunſche hinterlaſſen, daß er ſie erſt nach Verfluß einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann nicht ſäumen möge, die Zimmer aufzuſchließen und was darin ſich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils zu beſorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß der ſämmtlichen Effekten, nebſt Angabe ihrer Beſtim- mung. Er ſtuzte nicht wenig über dieſe ſonderbare Kommiſſion und befragte jene Mittelsperſon mit eini- ger Aengſtlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten hätte? Der junge Menſch aber wußte nicht viel weiter Beſcheid zu geben und entfernte ſich bald. Sogleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/35
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/35>, abgerufen am 29.03.2024.