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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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von mir abgefallen; so ist Constanze mir nicht viel
mehr als noch ein bloßer Name, so ist mir schon
früher jene Agnes untergesunken.

Große Verluste sind es hauptsächlich, welche dem
Menschen die höhere Aufgabe seines Daseyns unwi-
derstehlich nahe bringen, durch sie lernt er dasjenige
kennen und schätzen, was wesentlich zu seinem Frieden
dient. Ich habe viel verloren, ich fühle mich unsäg-
lich arm, und eben in dieser Armuth fühle ich mir
einen unendlichen Reichthum. Nichts bleibt mir übrig,
als die Kunst, aber ganz erfahr' ich nun auch ihren hei-
ligen Werth. Nachdem so lange ein fremdes Feuer
mein Inneres durchtobt und mich von Grunde aus ge-
reinigt hat, ist es tief still in mir geworden, und lang-
sam spannen alle meine Kräfte sich an, in feierlicher Er-
wartung der Dinge, die nun kommen sollen. Eine neue
Epoche ist für mich angebrochen, und, so Gott will,
wird die Welt die Früchte bald erleben. Siehst du, ich
könnte dir die hellen Freudethränen weinen, wenn ich
dran denke, wie ich mit Nächstem zum Erstenmale wie-
der den Pinsel ergreifen werde. Viel hundert neue, nie
gesehene Gestalten entwickeln sich in mir, ein seliges
Gewühle, und wecken die Sehnsucht nach tüchtiger Ar-
beit. Befreit von der Herzensnoth jeder ängstlichen
Leidenschaft, besizt mich nur ein einziger gewaltiger
Affekt. Fast glaub' ich wieder der Knabe zu seyn, der
auf des Vaters Bühne vor jenem wunderbaren Ge-
mälde wie vor dem Genius der Kunst geknieet, so jung

von mir abgefallen; ſo iſt Conſtanze mir nicht viel
mehr als noch ein bloßer Name, ſo iſt mir ſchon
früher jene Agnes untergeſunken.

Große Verluſte ſind es hauptſächlich, welche dem
Menſchen die höhere Aufgabe ſeines Daſeyns unwi-
derſtehlich nahe bringen, durch ſie lernt er dasjenige
kennen und ſchätzen, was weſentlich zu ſeinem Frieden
dient. Ich habe viel verloren, ich fühle mich unſäg-
lich arm, und eben in dieſer Armuth fühle ich mir
einen unendlichen Reichthum. Nichts bleibt mir übrig,
als die Kunſt, aber ganz erfahr’ ich nun auch ihren hei-
ligen Werth. Nachdem ſo lange ein fremdes Feuer
mein Inneres durchtobt und mich von Grunde aus ge-
reinigt hat, iſt es tief ſtill in mir geworden, und lang-
ſam ſpannen alle meine Kräfte ſich an, in feierlicher Er-
wartung der Dinge, die nun kommen ſollen. Eine neue
Epoche iſt für mich angebrochen, und, ſo Gott will,
wird die Welt die Früchte bald erleben. Siehſt du, ich
könnte dir die hellen Freudethränen weinen, wenn ich
dran denke, wie ich mit Nächſtem zum Erſtenmale wie-
der den Pinſel ergreifen werde. Viel hundert neue, nie
geſehene Geſtalten entwickeln ſich in mir, ein ſeliges
Gewühle, und wecken die Sehnſucht nach tüchtiger Ar-
beit. Befreit von der Herzensnoth jeder ängſtlichen
Leidenſchaft, beſizt mich nur ein einziger gewaltiger
Affekt. Faſt glaub’ ich wieder der Knabe zu ſeyn, der
auf des Vaters Bühne vor jenem wunderbaren Ge-
mälde wie vor dem Genius der Kunſt geknieet, ſo jung

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[333/0019] von mir abgefallen; ſo iſt Conſtanze mir nicht viel mehr als noch ein bloßer Name, ſo iſt mir ſchon früher jene Agnes untergeſunken. Große Verluſte ſind es hauptſächlich, welche dem Menſchen die höhere Aufgabe ſeines Daſeyns unwi- derſtehlich nahe bringen, durch ſie lernt er dasjenige kennen und ſchätzen, was weſentlich zu ſeinem Frieden dient. Ich habe viel verloren, ich fühle mich unſäg- lich arm, und eben in dieſer Armuth fühle ich mir einen unendlichen Reichthum. Nichts bleibt mir übrig, als die Kunſt, aber ganz erfahr’ ich nun auch ihren hei- ligen Werth. Nachdem ſo lange ein fremdes Feuer mein Inneres durchtobt und mich von Grunde aus ge- reinigt hat, iſt es tief ſtill in mir geworden, und lang- ſam ſpannen alle meine Kräfte ſich an, in feierlicher Er- wartung der Dinge, die nun kommen ſollen. Eine neue Epoche iſt für mich angebrochen, und, ſo Gott will, wird die Welt die Früchte bald erleben. Siehſt du, ich könnte dir die hellen Freudethränen weinen, wenn ich dran denke, wie ich mit Nächſtem zum Erſtenmale wie- der den Pinſel ergreifen werde. Viel hundert neue, nie geſehene Geſtalten entwickeln ſich in mir, ein ſeliges Gewühle, und wecken die Sehnſucht nach tüchtiger Ar- beit. Befreit von der Herzensnoth jeder ängſtlichen Leidenſchaft, beſizt mich nur ein einziger gewaltiger Affekt. Faſt glaub’ ich wieder der Knabe zu ſeyn, der auf des Vaters Bühne vor jenem wunderbaren Ge- mälde wie vor dem Genius der Kunſt geknieet, ſo jung

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/19>, abgerufen am 29.03.2024.