Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

erwarten gewesen wäre, ein freundlich Wort an ihn
erging.

Unter andern Umständen vielleicht hätten diese
Aussichten ihn trostlos gemacht, aber so ward sein
Stolz empfindlich gereizt, er sah sich unfreundlich,
schnöde zurückgestoßen, und da er wußte, wie wenig
von jeher die Gräfin gewohnt gewesen, sich ihre Ge-
fühle und Handlungen durch den Bruder oder sonst
Jemanden vorschreiben zu lassen, so konnte er auch
ihr jetziges Benehmen keineswegs auf fremde Rech-
nung setzen. Er glaubte sich in seinen Vorstellungen
von der ungemeinen Denkart dieses Weibes entschie-
den getäuscht, zum Erstenmal fand er an Constan-
zen
die Kleinlichkeit ihres Geschlechts, die engherzige
Pretiosität ihres Standes, ja was noch mehr als dieß,
er überzeugte sich, daß sie ihn niemals eigentlich ge-
liebt haben könne. Er war traurig, allein er wun-
derte sich, daß er es nicht in höherem Grade sey.

Auf diese Art hatte nun freilich der Schauspie-
ler, dem sehr darum zu thun seyn mußte, die Ein-
drücke dieser Leidenschaft bei Nolten von Grund
aus zu vertilgen, bei weitem leichtere Arbeit, als er
immer gefürchtet. Er wunderte sich im Stillen höch-
lich über die vernünftige Gelassenheit seines Freundes,
und gab dem Wunsche desselben gerne nach, daß von
der Sache nicht weiter die Rede seyn solle.

Uebrigens gab es für Larkens gar mancherlei
zu bedenken und auszumitteln. Gleich nach der Hafts-

erwarten geweſen wäre, ein freundlich Wort an ihn
erging.

Unter andern Umſtänden vielleicht hätten dieſe
Ausſichten ihn troſtlos gemacht, aber ſo ward ſein
Stolz empfindlich gereizt, er ſah ſich unfreundlich,
ſchnöde zurückgeſtoßen, und da er wußte, wie wenig
von jeher die Gräfin gewohnt geweſen, ſich ihre Ge-
fühle und Handlungen durch den Bruder oder ſonſt
Jemanden vorſchreiben zu laſſen, ſo konnte er auch
ihr jetziges Benehmen keineswegs auf fremde Rech-
nung ſetzen. Er glaubte ſich in ſeinen Vorſtellungen
von der ungemeinen Denkart dieſes Weibes entſchie-
den getäuſcht, zum Erſtenmal fand er an Conſtan-
zen
die Kleinlichkeit ihres Geſchlechts, die engherzige
Pretioſität ihres Standes, ja was noch mehr als dieß,
er überzeugte ſich, daß ſie ihn niemals eigentlich ge-
liebt haben könne. Er war traurig, allein er wun-
derte ſich, daß er es nicht in höherem Grade ſey.

Auf dieſe Art hatte nun freilich der Schauſpie-
ler, dem ſehr darum zu thun ſeyn mußte, die Ein-
drücke dieſer Leidenſchaft bei Nolten von Grund
aus zu vertilgen, bei weitem leichtere Arbeit, als er
immer gefürchtet. Er wunderte ſich im Stillen höch-
lich über die vernünftige Gelaſſenheit ſeines Freundes,
und gab dem Wunſche deſſelben gerne nach, daß von
der Sache nicht weiter die Rede ſeyn ſolle.

Uebrigens gab es für Larkens gar mancherlei
zu bedenken und auszumitteln. Gleich nach der Hafts-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0014" n="328"/>
erwarten gewe&#x017F;en wäre, ein freundlich Wort an ihn<lb/>
erging.</p><lb/>
          <p>Unter andern Um&#x017F;tänden vielleicht hätten die&#x017F;e<lb/>
Aus&#x017F;ichten ihn tro&#x017F;tlos gemacht, aber &#x017F;o ward &#x017F;ein<lb/>
Stolz empfindlich gereizt, er &#x017F;ah &#x017F;ich unfreundlich,<lb/>
&#x017F;chnöde zurückge&#x017F;toßen, und da er wußte, wie wenig<lb/>
von jeher die Gräfin gewohnt gewe&#x017F;en, &#x017F;ich ihre Ge-<lb/>
fühle und Handlungen durch den Bruder oder &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Jemanden vor&#x017F;chreiben zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o konnte er auch<lb/>
ihr jetziges Benehmen keineswegs auf fremde Rech-<lb/>
nung &#x017F;etzen. Er glaubte &#x017F;ich in &#x017F;einen Vor&#x017F;tellungen<lb/>
von der ungemeinen Denkart die&#x017F;es Weibes ent&#x017F;chie-<lb/>
den getäu&#x017F;cht, zum Er&#x017F;tenmal fand er an <hi rendition="#g">Con&#x017F;tan-<lb/>
zen</hi> die Kleinlichkeit ihres Ge&#x017F;chlechts, die engherzige<lb/>
Pretio&#x017F;ität ihres Standes, ja was noch mehr als dieß,<lb/>
er überzeugte &#x017F;ich, daß &#x017F;ie ihn niemals eigentlich ge-<lb/>
liebt haben könne. Er war traurig, allein er wun-<lb/>
derte &#x017F;ich, daß er es nicht in höherem Grade &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;e Art hatte nun freilich der Schau&#x017F;pie-<lb/>
ler, dem &#x017F;ehr darum zu thun &#x017F;eyn mußte, die Ein-<lb/>
drücke die&#x017F;er Leiden&#x017F;chaft bei <hi rendition="#g">Nolten</hi> von Grund<lb/>
aus zu vertilgen, bei weitem leichtere Arbeit, als er<lb/>
immer gefürchtet. Er wunderte &#x017F;ich im Stillen höch-<lb/>
lich über die vernünftige Gela&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;eines Freundes,<lb/>
und gab dem Wun&#x017F;che de&#x017F;&#x017F;elben gerne nach, daß von<lb/>
der Sache nicht weiter die Rede &#x017F;eyn &#x017F;olle.</p><lb/>
          <p>Uebrigens gab es für <hi rendition="#g">Larkens</hi> gar mancherlei<lb/>
zu bedenken und auszumitteln. Gleich nach der Hafts-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0014] erwarten geweſen wäre, ein freundlich Wort an ihn erging. Unter andern Umſtänden vielleicht hätten dieſe Ausſichten ihn troſtlos gemacht, aber ſo ward ſein Stolz empfindlich gereizt, er ſah ſich unfreundlich, ſchnöde zurückgeſtoßen, und da er wußte, wie wenig von jeher die Gräfin gewohnt geweſen, ſich ihre Ge- fühle und Handlungen durch den Bruder oder ſonſt Jemanden vorſchreiben zu laſſen, ſo konnte er auch ihr jetziges Benehmen keineswegs auf fremde Rech- nung ſetzen. Er glaubte ſich in ſeinen Vorſtellungen von der ungemeinen Denkart dieſes Weibes entſchie- den getäuſcht, zum Erſtenmal fand er an Conſtan- zen die Kleinlichkeit ihres Geſchlechts, die engherzige Pretioſität ihres Standes, ja was noch mehr als dieß, er überzeugte ſich, daß ſie ihn niemals eigentlich ge- liebt haben könne. Er war traurig, allein er wun- derte ſich, daß er es nicht in höherem Grade ſey. Auf dieſe Art hatte nun freilich der Schauſpie- ler, dem ſehr darum zu thun ſeyn mußte, die Ein- drücke dieſer Leidenſchaft bei Nolten von Grund aus zu vertilgen, bei weitem leichtere Arbeit, als er immer gefürchtet. Er wunderte ſich im Stillen höch- lich über die vernünftige Gelaſſenheit ſeines Freundes, und gab dem Wunſche deſſelben gerne nach, daß von der Sache nicht weiter die Rede ſeyn ſolle. Uebrigens gab es für Larkens gar mancherlei zu bedenken und auszumitteln. Gleich nach der Hafts-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/14
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/14>, abgerufen am 25.04.2024.