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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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des verlohrnen Paradieses.

Gehör: als von der Schaar der Seraphim
Sich Abdiel erhob; denn keiner war,
Der mit mehr Eifer den Allmächtigen
Und sein Geboth verehrte. Voller Gluth
Und heilgen Eifer, setzt' er sich dem Strom
Der rasenden Verführung so entgegen.

O Gotteslästernde, verwegene
Und stolze Reden! Wer im Himmel hat
Sie je erwartet, und besonders sie
Von dir erwartet, o du Undankbarer!
Der du so sehr an Macht und Herrlichkeit
Erhaben bist vor allen deines Gleichen.
Darfst du dich unterstehn, des Höchsten Schluß,
Den er vor allen Himmeln kund gethan,
Und ihn beschworen, daß sich alle Knie
Vor seinem einzgen Sohn im Himmel beugen
Und ihn für ihren König, ihren Herrn
Erkennen sollen -- unterstehst du dich,
Den zu verdammen? Ungerecht, sagst du,
Jst dieser Rathschluß? ungerecht ist es,
Daß über Gleiche jemand herrschen will,
Und freye Geister durch Gesetze bindet?
Daß einer über alle herrschen will
Mit unumschränkter Macht? Willst du denn Gott
Gesetze geben? Willst du über Freyheit
Mit dem dich streiten, welcher dich erschuf,
Dich, was du bist, erschuf, und alle Geister
Des Himmels, wie es ihm gefiel, gemacht?
Lehrt uns Erfahrung nicht, wie gnädig er,
Und wie besorgt er ist für unser Wohl,
Für unsre Würde? Jst er nicht geneigt,
Anstatt ihn zu verringern, unsern Stand
Noch glücklicher, noch herrlicher zu machen,
Da wir durch unser Haupt noch mehr vereint,
So seiner Allmacht Throne näher sind?
Und herrschet denn ein Gleicher über Gleiche?
Du selbst, so groß so herrlich du auch bist,
Darfst du, und alle himmlische Naturen,
Wenn sie vereinigt würden, mit dem Sohn
Dem

des verlohrnen Paradieſes.

Gehoͤr: als von der Schaar der Seraphim
Sich Abdiel erhob; denn keiner war,
Der mit mehr Eifer den Allmaͤchtigen
Und ſein Geboth verehrte. Voller Gluth
Und heilgen Eifer, ſetzt’ er ſich dem Strom
Der raſenden Verfuͤhrung ſo entgegen.

O Gotteslaͤſternde, verwegene
Und ſtolze Reden! Wer im Himmel hat
Sie je erwartet, und beſonders ſie
Von dir erwartet, o du Undankbarer!
Der du ſo ſehr an Macht und Herrlichkeit
Erhaben biſt vor allen deines Gleichen.
Darfſt du dich unterſtehn, des Hoͤchſten Schluß,
Den er vor allen Himmeln kund gethan,
Und ihn beſchworen, daß ſich alle Knie
Vor ſeinem einzgen Sohn im Himmel beugen
Und ihn fuͤr ihren Koͤnig, ihren Herrn
Erkennen ſollen — unterſtehſt du dich,
Den zu verdammen? Ungerecht, ſagſt du,
Jſt dieſer Rathſchluß? ungerecht iſt es,
Daß uͤber Gleiche jemand herrſchen will,
Und freye Geiſter durch Geſetze bindet?
Daß einer uͤber alle herrſchen will
Mit unumſchraͤnkter Macht? Willſt du denn Gott
Geſetze geben? Willſt du uͤber Freyheit
Mit dem dich ſtreiten, welcher dich erſchuf,
Dich, was du biſt, erſchuf, und alle Geiſter
Des Himmels, wie es ihm gefiel, gemacht?
Lehrt uns Erfahrung nicht, wie gnaͤdig er,
Und wie beſorgt er iſt fuͤr unſer Wohl,
Fuͤr unſre Wuͤrde? Jſt er nicht geneigt,
Anſtatt ihn zu verringern, unſern Stand
Noch gluͤcklicher, noch herrlicher zu machen,
Da wir durch unſer Haupt noch mehr vereint,
So ſeiner Allmacht Throne naͤher ſind?
Und herrſchet denn ein Gleicher uͤber Gleiche?
Du ſelbſt, ſo groß ſo herrlich du auch biſt,
Darfſt du, und alle himmliſche Naturen,
Wenn ſie vereinigt wuͤrden, mit dem Sohn
Dem
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[0013] des verlohrnen Paradieſes. Gehoͤr: als von der Schaar der Seraphim Sich Abdiel erhob; denn keiner war, Der mit mehr Eifer den Allmaͤchtigen Und ſein Geboth verehrte. Voller Gluth Und heilgen Eifer, ſetzt’ er ſich dem Strom Der raſenden Verfuͤhrung ſo entgegen. O Gotteslaͤſternde, verwegene Und ſtolze Reden! Wer im Himmel hat Sie je erwartet, und beſonders ſie Von dir erwartet, o du Undankbarer! Der du ſo ſehr an Macht und Herrlichkeit Erhaben biſt vor allen deines Gleichen. Darfſt du dich unterſtehn, des Hoͤchſten Schluß, Den er vor allen Himmeln kund gethan, Und ihn beſchworen, daß ſich alle Knie Vor ſeinem einzgen Sohn im Himmel beugen Und ihn fuͤr ihren Koͤnig, ihren Herrn Erkennen ſollen — unterſtehſt du dich, Den zu verdammen? Ungerecht, ſagſt du, Jſt dieſer Rathſchluß? ungerecht iſt es, Daß uͤber Gleiche jemand herrſchen will, Und freye Geiſter durch Geſetze bindet? Daß einer uͤber alle herrſchen will Mit unumſchraͤnkter Macht? Willſt du denn Gott Geſetze geben? Willſt du uͤber Freyheit Mit dem dich ſtreiten, welcher dich erſchuf, Dich, was du biſt, erſchuf, und alle Geiſter Des Himmels, wie es ihm gefiel, gemacht? Lehrt uns Erfahrung nicht, wie gnaͤdig er, Und wie beſorgt er iſt fuͤr unſer Wohl, Fuͤr unſre Wuͤrde? Jſt er nicht geneigt, Anſtatt ihn zu verringern, unſern Stand Noch gluͤcklicher, noch herrlicher zu machen, Da wir durch unſer Haupt noch mehr vereint, So ſeiner Allmacht Throne naͤher ſind? Und herrſchet denn ein Gleicher uͤber Gleiche? Du ſelbſt, ſo groß ſo herrlich du auch biſt, Darfſt du, und alle himmliſche Naturen, Wenn ſie vereinigt wuͤrden, mit dem Sohn Dem

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/13>, abgerufen am 25.04.2024.