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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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tödten... Unser redlicher Vater leidet mit mir,
und zehrt sich ab. Das ist mein gröster Schmerz.
-- Jch verberg ihm meine Qual, so viel ich kann;
Schliesse sie in meinen Busen ein, und ich fühls,
daß sie schon mein Herz angefressen hat. Es wird
bald brechen. Wünsch mir Glück dazu, Bruder!
Es ist Wohlthat. -- Jch leid' jetzt doppelt. Jn-
nerlich tobt verzehrende Glut, und aussen kalte,
spöttische Verhöhnung. Salome ist hier, und
bringt unsre Schwägerin, die wieder aus dem
Wochenbett aufgestanden ist, täglich ins Haus.
Da hör ich nichts als Spöttereyen und muß
dazu schweigen. Das kränkt mehr als alles!
Und doch unterstützt mich Gott! Jch hab oft
heitre Stunden, kann sogar zuweilen hoffen,
aber freylich nur wie Abadonna, auf Begnadi-
gung. Klopstock ist auch ein Freund der Leiden-
den; er erquickt mich oft. Nun kann ich ihn erst
ganz schätzen. Denn im Leiden sieht man, was
ein Freund ist; und das ist er über alle Maaßen,
Gott und Er! -- Auch Hauptmann Northern
bedauert mich, und der alte Pfarrer. Northern
meynt, Kronhelm soll in seines Königs Dienste
treten, und mich mitnehmen. Er will ihn em-

J i



toͤdten… Unſer redlicher Vater leidet mit mir,
und zehrt ſich ab. Das iſt mein groͤſter Schmerz.
— Jch verberg ihm meine Qual, ſo viel ich kann;
Schlieſſe ſie in meinen Buſen ein, und ich fuͤhls,
daß ſie ſchon mein Herz angefreſſen hat. Es wird
bald brechen. Wuͤnſch mir Gluͤck dazu, Bruder!
Es iſt Wohlthat. — Jch leid’ jetzt doppelt. Jn-
nerlich tobt verzehrende Glut, und auſſen kalte,
ſpoͤttiſche Verhoͤhnung. Salome iſt hier, und
bringt unſre Schwaͤgerin, die wieder aus dem
Wochenbett aufgeſtanden iſt, taͤglich ins Haus.
Da hoͤr ich nichts als Spoͤttereyen und muß
dazu ſchweigen. Das kraͤnkt mehr als alles!
Und doch unterſtuͤtzt mich Gott! Jch hab oft
heitre Stunden, kann ſogar zuweilen hoffen,
aber freylich nur wie Abadonna, auf Begnadi-
gung. Klopſtock iſt auch ein Freund der Leiden-
den; er erquickt mich oft. Nun kann ich ihn erſt
ganz ſchaͤtzen. Denn im Leiden ſieht man, was
ein Freund iſt; und das iſt er uͤber alle Maaßen,
Gott und Er! — Auch Hauptmann Northern
bedauert mich, und der alte Pfarrer. Northern
meynt, Kronhelm ſoll in ſeines Koͤnigs Dienſte
treten, und mich mitnehmen. Er will ihn em-

J i
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[489/0069] toͤdten… Unſer redlicher Vater leidet mit mir, und zehrt ſich ab. Das iſt mein groͤſter Schmerz. — Jch verberg ihm meine Qual, ſo viel ich kann; Schlieſſe ſie in meinen Buſen ein, und ich fuͤhls, daß ſie ſchon mein Herz angefreſſen hat. Es wird bald brechen. Wuͤnſch mir Gluͤck dazu, Bruder! Es iſt Wohlthat. — Jch leid’ jetzt doppelt. Jn- nerlich tobt verzehrende Glut, und auſſen kalte, ſpoͤttiſche Verhoͤhnung. Salome iſt hier, und bringt unſre Schwaͤgerin, die wieder aus dem Wochenbett aufgeſtanden iſt, taͤglich ins Haus. Da hoͤr ich nichts als Spoͤttereyen und muß dazu ſchweigen. Das kraͤnkt mehr als alles! Und doch unterſtuͤtzt mich Gott! Jch hab oft heitre Stunden, kann ſogar zuweilen hoffen, aber freylich nur wie Abadonna, auf Begnadi- gung. Klopſtock iſt auch ein Freund der Leiden- den; er erquickt mich oft. Nun kann ich ihn erſt ganz ſchaͤtzen. Denn im Leiden ſieht man, was ein Freund iſt; und das iſt er uͤber alle Maaßen, Gott und Er! — Auch Hauptmann Northern bedauert mich, und der alte Pfarrer. Northern meynt, Kronhelm ſoll in ſeines Koͤnigs Dienſte treten, und mich mitnehmen. Er will ihn em- J i

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/69>, abgerufen am 18.04.2024.