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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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öffentlich sehen! sagte er ganz ängstlich; das würd
Jhnen gleich weggenommen werden. Man ist
hier gar scharf. So, sagte ich, denket man hier so?
und schnitt das Titelblatt heraus; und so hab ichs
auch mit meinen andern Büchern gemacht. Brauch
diese Vorsicht auch, mein Lieber! -- Du kannst
aus diesem wenigensehen, wies hier aussieht? Beym
alten und beym jungen Herrn von Jckstatt hab ich
Aufwartung gemacht; das sind noch Leute, die bil-
lig und vernünftig denken. Aber der junge Herr
hat auch auf einer reformirten Universität, ich denk,
in Marpurg studirt.

Wann nur Du hier wärest, Lieber! dann wär
mir jeder Ort noch erträglich; aber so kann ichs
kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen
herum, spreche mit mir selber laut, und wein' um
Theresen und über mein Schicksal. Was macht
der Engel? Das wollt ich Dich zuerst fragen. Jch
hab ihren Namen in Buchen eingeschnitten und in
Felsen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich
dulde, und getreu sey! -- Jch sah den Himmel,
der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt
ich beten; noch selten konnt ichs. -- Mein Vater
hat mir geschrieben, und mir fürchterlich gedroht.
Jch lache seiner Drohungen. Mir kann nichts



oͤffentlich ſehen! ſagte er ganz aͤngſtlich; das wuͤrd
Jhnen gleich weggenommen werden. Man iſt
hier gar ſcharf. So, ſagte ich, denket man hier ſo?
und ſchnitt das Titelblatt heraus; und ſo hab ichs
auch mit meinen andern Buͤchern gemacht. Brauch
dieſe Vorſicht auch, mein Lieber! — Du kannſt
aus dieſem wenigenſehen, wies hier ausſieht? Beym
alten und beym jungen Herrn von Jckſtatt hab ich
Aufwartung gemacht; das ſind noch Leute, die bil-
lig und vernuͤnftig denken. Aber der junge Herr
hat auch auf einer reformirten Univerſitaͤt, ich denk,
in Marpurg ſtudirt.

Wann nur Du hier waͤreſt, Lieber! dann waͤr
mir jeder Ort noch ertraͤglich; aber ſo kann ichs
kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen
herum, ſpreche mit mir ſelber laut, und wein’ um
Thereſen und uͤber mein Schickſal. Was macht
der Engel? Das wollt ich Dich zuerſt fragen. Jch
hab ihren Namen in Buchen eingeſchnitten und in
Felſen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich
dulde, und getreu ſey! — Jch ſah den Himmel,
der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt
ich beten; noch ſelten konnt ichs. — Mein Vater
hat mir geſchrieben, und mir fuͤrchterlich gedroht.
Jch lache ſeiner Drohungen. Mir kann nichts

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[486/0066] oͤffentlich ſehen! ſagte er ganz aͤngſtlich; das wuͤrd Jhnen gleich weggenommen werden. Man iſt hier gar ſcharf. So, ſagte ich, denket man hier ſo? und ſchnitt das Titelblatt heraus; und ſo hab ichs auch mit meinen andern Buͤchern gemacht. Brauch dieſe Vorſicht auch, mein Lieber! — Du kannſt aus dieſem wenigenſehen, wies hier ausſieht? Beym alten und beym jungen Herrn von Jckſtatt hab ich Aufwartung gemacht; das ſind noch Leute, die bil- lig und vernuͤnftig denken. Aber der junge Herr hat auch auf einer reformirten Univerſitaͤt, ich denk, in Marpurg ſtudirt. Wann nur Du hier waͤreſt, Lieber! dann waͤr mir jeder Ort noch ertraͤglich; aber ſo kann ichs kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen herum, ſpreche mit mir ſelber laut, und wein’ um Thereſen und uͤber mein Schickſal. Was macht der Engel? Das wollt ich Dich zuerſt fragen. Jch hab ihren Namen in Buchen eingeſchnitten und in Felſen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich dulde, und getreu ſey! — Jch ſah den Himmel, der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt ich beten; noch ſelten konnt ichs. — Mein Vater hat mir geſchrieben, und mir fuͤrchterlich gedroht. Jch lache ſeiner Drohungen. Mir kann nichts

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/66>, abgerufen am 25.04.2024.