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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Kloster bringen zu lassen, um ihn von dem Grab
seiner Mariane zu entfernen, denn er wollte immer
ans Fenster, um hinabzusehn. Sie thaten ihm also
den Vorschlag, ob er sich nicht den andern Tag
nach seinem Kloster wolle tragen lassen? Anfangs
erschütterte ihn der Vorschlag, weil er sich nicht
vom Grab seiner lieben Mariane entfernen wollte.
Doch gab er sich endlich drein, denn nach und
nach ward ihm alles auf der Welt gleichgültig, und
Pater Anton stellte ihm vor, er möchte beständig
um ihn seyn, und könne sich doch nicht so lang
von seinem Kloster entfernt halten. Bringt mich
hin, wo ihr wollt, sagte er; lange könnt ihr mich
doch nicht mehr von ihr trennen. Wenn mir nur
Pater Anton nach meinem Tod meine Bitte er-
füllt. -- Den Tag über lag er immer in anschei-
nender Ruhe auf dem Bette. Seine Freunde
hieltens für ein Zeichen der Besserung, aber im
Grunde wars Entkräftung.

Gegen Abend sank er in einen festen Schlaf.
Der Arzt, der eben kam, und ihm im Schlaf den
Puls berührte, sagte, daß er sehr gut gehe. Man
möchte nur recht still und ruhig seyn, um ihn nicht auf-
zuwecken, weil er durch den Schlummer neue Kräfte
bekommen könne. Therese und Kronhelm entfern-



Kloſter bringen zu laſſen, um ihn von dem Grab
ſeiner Mariane zu entfernen, denn er wollte immer
ans Fenſter, um hinabzuſehn. Sie thaten ihm alſo
den Vorſchlag, ob er ſich nicht den andern Tag
nach ſeinem Kloſter wolle tragen laſſen? Anfangs
erſchuͤtterte ihn der Vorſchlag, weil er ſich nicht
vom Grab ſeiner lieben Mariane entfernen wollte.
Doch gab er ſich endlich drein, denn nach und
nach ward ihm alles auf der Welt gleichguͤltig, und
Pater Anton ſtellte ihm vor, er moͤchte beſtaͤndig
um ihn ſeyn, und koͤnne ſich doch nicht ſo lang
von ſeinem Kloſter entfernt halten. Bringt mich
hin, wo ihr wollt, ſagte er; lange koͤnnt ihr mich
doch nicht mehr von ihr trennen. Wenn mir nur
Pater Anton nach meinem Tod meine Bitte er-
fuͤllt. — Den Tag uͤber lag er immer in anſchei-
nender Ruhe auf dem Bette. Seine Freunde
hieltens fuͤr ein Zeichen der Beſſerung, aber im
Grunde wars Entkraͤftung.

Gegen Abend ſank er in einen feſten Schlaf.
Der Arzt, der eben kam, und ihm im Schlaf den
Puls beruͤhrte, ſagte, daß er ſehr gut gehe. Man
moͤchte nur recht ſtill und ruhig ſeyn, um ihn nicht auf-
zuwecken, weil er durch den Schlummer neue Kraͤfte
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[1069/0649] Kloſter bringen zu laſſen, um ihn von dem Grab ſeiner Mariane zu entfernen, denn er wollte immer ans Fenſter, um hinabzuſehn. Sie thaten ihm alſo den Vorſchlag, ob er ſich nicht den andern Tag nach ſeinem Kloſter wolle tragen laſſen? Anfangs erſchuͤtterte ihn der Vorſchlag, weil er ſich nicht vom Grab ſeiner lieben Mariane entfernen wollte. Doch gab er ſich endlich drein, denn nach und nach ward ihm alles auf der Welt gleichguͤltig, und Pater Anton ſtellte ihm vor, er moͤchte beſtaͤndig um ihn ſeyn, und koͤnne ſich doch nicht ſo lang von ſeinem Kloſter entfernt halten. Bringt mich hin, wo ihr wollt, ſagte er; lange koͤnnt ihr mich doch nicht mehr von ihr trennen. Wenn mir nur Pater Anton nach meinem Tod meine Bitte er- fuͤllt. — Den Tag uͤber lag er immer in anſchei- nender Ruhe auf dem Bette. Seine Freunde hieltens fuͤr ein Zeichen der Beſſerung, aber im Grunde wars Entkraͤftung. Gegen Abend ſank er in einen feſten Schlaf. Der Arzt, der eben kam, und ihm im Schlaf den Puls beruͤhrte, ſagte, daß er ſehr gut gehe. Man moͤchte nur recht ſtill und ruhig ſeyn, um ihn nicht auf- zuwecken, weil er durch den Schlummer neue Kraͤfte bekommen koͤnne. Thereſe und Kronhelm entfern-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1069. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/649>, abgerufen am 25.04.2024.