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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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und wollte ihn in seinen wehmüthigen Gedanken
nicht stören.

Jndem sie so in Betrachtungen vertieft, durch
die stille Feyer der Natur dahin giengen, kam ein
Bothe aus dem Nonnenkloster Bergkirch schnau-
bend |hergelaufen, und verlangte den Guardian zu
sprechen. P. Anton gieng mit ihm auf die Seite,
und kam dann wieder zu Siegwart, der langsam
vorausgegangen war. Jch habe, sagte er, einen
Auftrag am dich, mein lieber Siegwart. Eine
Nonne liegt in Bergkirch in den letzten Zügen,
und verlangt ihren Beichtvater und die letzte Oe-
lung. Du must eilig hinüber, weil P. Hilde-
brand
krank ist.

Siegwart nahm den Auftrag willig an, ob ihm
gleich das Herz schlug, als er von einem Nonnen-
kloster hörte. Mit den lebhaftesten und traurig-
sten Gedanken an seine Mariane gieng er nach dem
Kloster, und kam mit Untergang der Sonne an.
Die Aebtissin ließ ihn vor sich kommen. Er sagte,
der ordentliche Beichtvater P. Hildebrand sey krank,
und sein Guardian hab ihm aufgetragen, seine
Stelle zu versehen. Man führte ihn in eine dunkle
Zelle, wo eine junge Nonne äusserst schwach auf
einem Bette lag, um das ein paar andre Nonnen



und wollte ihn in ſeinen wehmuͤthigen Gedanken
nicht ſtoͤren.

Jndem ſie ſo in Betrachtungen vertieft, durch
die ſtille Feyer der Natur dahin giengen, kam ein
Bothe aus dem Nonnenkloſter Bergkirch ſchnau-
bend |hergelaufen, und verlangte den Guardian zu
ſprechen. P. Anton gieng mit ihm auf die Seite,
und kam dann wieder zu Siegwart, der langſam
vorausgegangen war. Jch habe, ſagte er, einen
Auftrag am dich, mein lieber Siegwart. Eine
Nonne liegt in Bergkirch in den letzten Zuͤgen,
und verlangt ihren Beichtvater und die letzte Oe-
lung. Du muſt eilig hinuͤber, weil P. Hilde-
brand
krank iſt.

Siegwart nahm den Auftrag willig an, ob ihm
gleich das Herz ſchlug, als er von einem Nonnen-
kloſter hoͤrte. Mit den lebhafteſten und traurig-
ſten Gedanken an ſeine Mariane gieng er nach dem
Kloſter, und kam mit Untergang der Sonne an.
Die Aebtiſſin ließ ihn vor ſich kommen. Er ſagte,
der ordentliche Beichtvater P. Hildebrand ſey krank,
und ſein Guardian hab ihm aufgetragen, ſeine
Stelle zu verſehen. Man fuͤhrte ihn in eine dunkle
Zelle, wo eine junge Nonne aͤuſſerſt ſchwach auf
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[1061/0641] und wollte ihn in ſeinen wehmuͤthigen Gedanken nicht ſtoͤren. Jndem ſie ſo in Betrachtungen vertieft, durch die ſtille Feyer der Natur dahin giengen, kam ein Bothe aus dem Nonnenkloſter Bergkirch ſchnau- bend |hergelaufen, und verlangte den Guardian zu ſprechen. P. Anton gieng mit ihm auf die Seite, und kam dann wieder zu Siegwart, der langſam vorausgegangen war. Jch habe, ſagte er, einen Auftrag am dich, mein lieber Siegwart. Eine Nonne liegt in Bergkirch in den letzten Zuͤgen, und verlangt ihren Beichtvater und die letzte Oe- lung. Du muſt eilig hinuͤber, weil P. Hilde- brand krank iſt. Siegwart nahm den Auftrag willig an, ob ihm gleich das Herz ſchlug, als er von einem Nonnen- kloſter hoͤrte. Mit den lebhafteſten und traurig- ſten Gedanken an ſeine Mariane gieng er nach dem Kloſter, und kam mit Untergang der Sonne an. Die Aebtiſſin ließ ihn vor ſich kommen. Er ſagte, der ordentliche Beichtvater P. Hildebrand ſey krank, und ſein Guardian hab ihm aufgetragen, ſeine Stelle zu verſehen. Man fuͤhrte ihn in eine dunkle Zelle, wo eine junge Nonne aͤuſſerſt ſchwach auf einem Bette lag, um das ein paar andre Nonnen

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1061. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/641>, abgerufen am 28.03.2024.