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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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athmen; nun ists einem so leicht, und man zieht
nichts als Blumendüfte und liebliche Gerüche ein.
Sieh den Regenbogen dort, den Zeugen von der
Huld des Allbarmherzigen. Alles um uns her ist
nun so frisch, und einer neuen Schöpfung gleich.
Wie das Gras so hell ist, und die tausend Regen-
tropfen auf den Blättern, und die Sonne drinn,
und alle Farben! Und der liebliche Gesang der
Vögel, wie er nun so hell tönt! Ach, mein lieber
Siegwart, immer denk ich da an unser Schicksal,
wie es auch oft um und in dem Menschen stürmt,
und doch ein Ende nimmt, und wieder heiter wird.
Es geht beym Menschen zu, wie's in der Natur
zugeht; Sturm und Regen, Sonnenschein
und Ruh; und Ruh ist immer doch das letzte;
denn Gott hat uns lieb, und will uns glücklich;
und das Glück der Ruhe fühlt man nach dem Sturm
am besten. -- Das fühlt' ich eben auch, theurer
Vater, fiel ihm Siegwart ein. Eben dacht ich
an mein Schicksal, daß es bisher wild in mir ge-
stürmt hat, und ein Ende nehmen wird. Hat
uns Gott doch selber Ruh in jener Ewigkeit ver-
heissen, und ich fühl es, daß ich bald zu ihr ein-
gehen werde. So hell und zuversichtlich hab ich
nie noch hinübergeblickt, wie heute. Anton schwieg,



athmen; nun iſts einem ſo leicht, und man zieht
nichts als Blumenduͤfte und liebliche Geruͤche ein.
Sieh den Regenbogen dort, den Zeugen von der
Huld des Allbarmherzigen. Alles um uns her iſt
nun ſo friſch, und einer neuen Schoͤpfung gleich.
Wie das Gras ſo hell iſt, und die tauſend Regen-
tropfen auf den Blaͤttern, und die Sonne drinn,
und alle Farben! Und der liebliche Geſang der
Voͤgel, wie er nun ſo hell toͤnt! Ach, mein lieber
Siegwart, immer denk ich da an unſer Schickſal,
wie es auch oft um und in dem Menſchen ſtuͤrmt,
und doch ein Ende nimmt, und wieder heiter wird.
Es geht beym Menſchen zu, wie’s in der Natur
zugeht; Sturm und Regen, Sonnenſchein
und Ruh; und Ruh iſt immer doch das letzte;
denn Gott hat uns lieb, und will uns gluͤcklich;
und das Gluͤck der Ruhe fuͤhlt man nach dem Sturm
am beſten. — Das fuͤhlt’ ich eben auch, theurer
Vater, fiel ihm Siegwart ein. Eben dacht ich
an mein Schickſal, daß es bisher wild in mir ge-
ſtuͤrmt hat, und ein Ende nehmen wird. Hat
uns Gott doch ſelber Ruh in jener Ewigkeit ver-
heiſſen, und ich fuͤhl es, daß ich bald zu ihr ein-
gehen werde. So hell und zuverſichtlich hab ich
nie noch hinuͤbergeblickt, wie heute. Anton ſchwieg,

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[1060/0640] athmen; nun iſts einem ſo leicht, und man zieht nichts als Blumenduͤfte und liebliche Geruͤche ein. Sieh den Regenbogen dort, den Zeugen von der Huld des Allbarmherzigen. Alles um uns her iſt nun ſo friſch, und einer neuen Schoͤpfung gleich. Wie das Gras ſo hell iſt, und die tauſend Regen- tropfen auf den Blaͤttern, und die Sonne drinn, und alle Farben! Und der liebliche Geſang der Voͤgel, wie er nun ſo hell toͤnt! Ach, mein lieber Siegwart, immer denk ich da an unſer Schickſal, wie es auch oft um und in dem Menſchen ſtuͤrmt, und doch ein Ende nimmt, und wieder heiter wird. Es geht beym Menſchen zu, wie’s in der Natur zugeht; Sturm und Regen, Sonnenſchein und Ruh; und Ruh iſt immer doch das letzte; denn Gott hat uns lieb, und will uns gluͤcklich; und das Gluͤck der Ruhe fuͤhlt man nach dem Sturm am beſten. — Das fuͤhlt’ ich eben auch, theurer Vater, fiel ihm Siegwart ein. Eben dacht ich an mein Schickſal, daß es bisher wild in mir ge- ſtuͤrmt hat, und ein Ende nehmen wird. Hat uns Gott doch ſelber Ruh in jener Ewigkeit ver- heiſſen, und ich fuͤhl es, daß ich bald zu ihr ein- gehen werde. So hell und zuverſichtlich hab ich nie noch hinuͤbergeblickt, wie heute. Anton ſchwieg,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1060. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/640>, abgerufen am 19.04.2024.